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Im Gegensatz vom linearen Schub der imperialen Zeit oder der unerbittlichen Wiederkehr der traumatischen Zeit, ist die Zeit der Verstrickung im Sinne Mbembes´, keine Serie, sondern eine Verstrickung von Gegenwarten, Vergangenheiten und Zukünften, in deren Tiefen andere Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte innewohnen. Debarati Sanyal, Critical Times (2019)

Vor mehr als zehn Jahren begann Constanza Macras in Südafrika mit Künstler:innen und Familien zu arbeiten. Im Laufe der Jahre haben wir bereits viele Geschichten und Erinnerungen miteinander geteilt. Nachhaltig beeindruckend war die weit verbreitete Faszination für Teenie-Slasher-Horrorfilme. Daher beschlossen wir gemeinsam ein Tanztheater in Johannesburg mit Bezügen zur Ästhetik und Handlung dieses Genre zu entwickeln.

Falls Sie noch nie einen Slasher-Film gesehen haben (auch bekannt als Teen-Horrorfilm / Bodycount-Film): Hier werden Teenager:innen eine:r nach dem:r anderen, von einem:r mysteriösen, psychopathischen, oft maskierten, Killer:in getötet. Die bevorzugten Mordwaffen des Killers sind Messer, Kettensäge oder auch stumpfe Gegenstände, aber selten Schusswaffen, daher auch der Name des Genres: Slasher (zu dt: Aufschlitzer:in). Erwachsene sind während der Angriffe auf die Opfer oft abwesend oder hilflos. Klassische Slasher-Filme beginnen mit dem Mord an einer jungen Frau und enden mit einer einzigen Überlebenden, die es schafft, den Mörder zu überwältigen, dann aber feststellen muß, dass das Böse nicht vollständig besiegt wurde (wodurch der Film die Möglichkeit für zur Fortsetzung erhält). Zu den amerikanischen Klassikern des Genres gehören The Texas Chainsaw Massacre (1974), Halloween (1978), Friday the 13th (1982), Candyman (1992) und Scream (1996).

Der kanadische Kinokritiker Robin Wood sagt, Horror sei »vielleicht das progressivste (Filmgenre), selbst in seinem offenkundigen Nihilismus«. Diese Filme präsentieren oft unpopuläre Ansichten, die sich mit sozialen, rassistischen oder sexuellen Ungerechtigkeiten befassen. Auch Politik und Religion sind auftauchende Themen. Slasher-Filme »führen keine falsche Harmonie vor; sie fördern nicht das scheinbar Gute«, sondern stellen es vielmehr bloß und greifen es an. Sie bedienen nicht die Mechanismen von Identifikation und narrativer Kontinuität aus der Mainstream-Kultur und doch ist die Popularität dieses Genres ungebrochen.

Die Wiederkehr des Vergangenen

Die Vergangenheit wird zurückkehren und dich in den Arsch beißen. Was immer du über die Vergangenheit zu wissen glaubst, vergiss es. Die Vergangenheit ruht nicht! Regel Nr. 3 über Slasher-Filme, Dialog aus Scream 3 von Wes Craven, 2000.

Es gibt auffällige Parallelen zwischen dem Slasher-Movie-Genre und (post-)kolonialen Strukturen in der heutigen Gesellschaft Südafrikas. Die feministische Filmtheoretikerin Vera Dike betont, den ähnlichen Mechanismus der Markierung des Anderssein: Verbrechen in Slasher-Filmen erfolgen oft auf der Grundlage einer abwertenden Beurteilung des Opfers – sei es in Form von Kritik an den moralischen Standards der gejagten Teenager:innen (z.B. ihrer sexuellen Aktivitäten) oder aufgrund rassistischer Vorurteile. Außerdem gibt es immer eine starke Verbindung zwischen den Schrecken der Gegenwart und denen der Vergangenheit. Die Gewalt in diesen Filmen ist weniger das Resultat einer Aktion, die aus dem Nichts im Hier und Jetzt auftaucht. Sie ist vielmehr ein Nachwirken der Schrecken der Vergangenheit, die vergessen und verdrängt, aber nicht überwunden wurden.

Im südafrikanischen Kontext ist die Gegenwart auf vielfältige und komplexe Weise geprägt von der systematisierten Gewalt, die durch die niederländischen und britischen Kolonialherrscher:innen und anschließend durch das Apartheidregime, ausgeübt wurde. Diese drei Machtsysteme eint, dass sie teilten, um zu herrschen. Sie bedienten sich des Othering auf der Grundlage rassistischer Konstruktionen und förderten Rivalität und Missgunst unter Nachbar:innen, um das Potential für Solidarisierung und gemeinsamen Widerstand zunichtezumachen. Durch die willkürliche Verteilung von »Privilegien« unter den verschieden konstruierten unterdrückten Gruppen, säten die Herrschenden Neid und Ressentiments, um Nachbar:innen zu Konkurrent:innen und potenziellen Feind:innen zu machen.

Diese Struktur der Vergangenheit taucht in Zeiten gesellschaftlicher Anspannung immer wieder auf drastische Weise auf, wie zuletzt bei den Unruhen während der Pandemie, als rassistische Übergriffe im ganzen Land zunahmen. Es kam zu vielen Angriffen auf Südafrikaner:innen mit indischer Abstammung (die während der Apartheid »Privilegien« gegenüber der Schwarzen südafrikanischen Bevölkerung genossen hatten) und auf Migrant:innen aus anderen afrikanischen Ländern, insbesondere aus Nigeria. Das Projekt THE VISITORS will vermitteln, wie der:die Andere als »Monster« erschaffen wird. Es zeigt auf, wie die xenophoben Konstrukte rund um die nigerianischen Einwanderer:innen mit dem realen Schrecken der kolonialen Eindringlinge verbunden sind und wie diese bis heute die gesellschaftspolitischen Strukturen der südafrikanischen Gesellschaft beeinflussen.

Die Killer in sogenannten Teen-Horrorfilmen sind keine komplexen, charismatischen Psychopath:innen wie bei Das Schweigen der Lämmer. Hier erscheint der Mörder eher als eine oberflächliche und unterentwickelte Figur, die oft kaum zu sehen ist. Statt selbst Protoganisten zu werden, verkörpern sie eine nahezu abstrakte Ursache von Gewalt. Sie sehen menschlich aus, aber sind praktisch unbesiegbar. Es reicht nicht aus, sie einmal zu töten. Diese beiden Elemente, Unsichtbarkeit und Unbesiegbarkeit, spiegeln die gesellschaftlich verinnerlichten und die Zeit überdauernden Formen, der oben erwähnten Machtstrukturen wider.

In Kult-Slasher-Filmen, wie Halloween von 1977, sind es immer wieder Jugendliche aus Vor- und Kleinstädten, die Gefahren ausgesetzt sind: zu Hause, in der Schule, beim Camping und in den Ferien. In den meisten dieser Filme erscheinen Eltern als völlig abwesend im Leben ihrer Kinder, sowohl physisch als auch emotional. Die Teenager:innen müssen immer allein mit den Killern fertig werden. Das Zuhause in diesen Filmen bietet keinen sicheren Zufluchtsort vor einer aus den Fugen geratenen Welt. In der Literatur über das Genre wird dies mit den Erfahrungen der Teenager:innen in veränderten Familienstrukturen der Moderne (Möglichkeit der Scheidung, veränderte Arbeitswelten) verknüpft. Doch dieser Aspekt wird im südafrikanischen Kontext gänzlich anders gelesen. Denn mit der Arbeitspolitik und den Passgesetzen setzte das Apartheidregime eine staatlich orchestrierte und effektive Zerstörung von Familienstrukturen um. Männer waren oft dazu verpflichtet, sich für längere Zeit von ihren Familien fernzuhalten. So leben heute in Südafrika nur noch etwa 35 Prozent der Kinder mit ihren beiden Elternteilen zusammen.

Erwartung, Horror und Absurdes

Annie: Fürchtest du dich noch? Laurie: Ich habe mich nicht gefürchtet. Annie: Lüge! Dialog aus Halloween von John Carpenter, 1978.

Erwartung ist ein entscheidendes Element, um das Gefühl eines bevorstehenden Übels hervorzurufen. Bereits durch die reine Beschwörung seiner Anwesenheit wird das Böse in der Imagination des Zuschauers zum Leben erweckt. Erwartung bildet in diesen Filmen die Quelle des Schreckeffekts. Aber wie die Kinokritikerin Carol J. Clover hervorhebt, ist der schnelle Wechsel zwischen »echtem« Schrecken auf der einen Seite und einem persiflierenden, sich selbst parodierenden Schrecken auf der anderen Seite, eines der auffälligsten Merkmale des Genres. Die Erwartung der Angst löst sich oft absichtlich in einer Übertreibung auf, die manchmal ins Absurde kippt und damit sogar Humor hervorbringt. David Lynch erläutert diesen Zusammenhang sehr anschaulich: »Wenn Sie einen Mann immer wieder gegen eine Wand rennen sehen, bis er zu blutigem Brei wird, bringt es uns nach einer Weile zum Lachen, weil es absurd ist«. Ein weiteres Phänomen in Slasher-Filmen ist der fehlende Zusammenhang zwischen der verübten Gewalt und ihrer Auswirkungen. Einige Charaktere sterben nach einem einzigen Schlag, während andere nach 20 Messerstichen im Körper vom Balkon stürzend weiterleben.

THE VISITORS spielt mit diesen Charakteristiken. Der wahre Schrecken, der durch die Erwartung geschürt wurde, wird durch Inkohärenz unterbrochen. So als ob die Figuren meinten, es sei der effizienteste Weg, den Monstern (der Vergangenheit?) zu begegnen, indem man die Kommunikation im Verlauf des Gesprächs radikal ändere. Absurde Wendungen in den Handlungssträngen, wie z.B. die Entdeckung, dass Tanzen die Monster vertreibt, funktionieren als humorvolle Auswege aus dem unerbittlichen Kreis des wiederkehrenden Grauens.

Das Eindringen

Weiße kommen nie hierher, außer um uns ein Problem zu bereiten. Glauben Sie mir, das wollen wir nicht. Dialog aus Candyman von Bernard Rose, 1992.

Eine weitere Inspiration für THE VISITORS ist die berühmte Kurzgeschichte Das besetzte Haus des argentinischen Autors Julio Cortázar von 1946. Sie handelt von einem Geschwisterpaar, das in seinem Elternhaus lebt. Das Haus wird allmählich und auf furchteinflößende Weise von unbekannten Wesen oder Kräften »besetzt«. Diese nicht näher identifizierte und gruselige Kraft wird es schließlich schaffen, die Charaktere aus ihrem Zuhause zu vertreiben. Am Ende verlassen sie das Haus, schließen die Tür hinter sich ab und werfen den Schlüssel in einen Gully, in der Hoffnung, dass niemand ihn je finden wird. Die Geschichte selbst bietet keine Erklärungen oder Antworten, worauf sich die gruseligen Kräfte beziehen. In ihrer späteren Rezeption in Argentinien und Südamerika wurde sie stark mit der Schreckenszeit der lokalen Militärdiktaturen (und der mit ihnen verbündeten ausländischen Staaten während des Kalten Krieges) in Zusammenhang gebracht.

In der Tradition von Slasher-Filmen gibt es immer einen Ort des Schreckens, an dem die Handlung stattfindet. Aber anders als in Das besetzte Haus erfolgt die Invasion dieses Ortes nie allmählich oder subtil, sondern eher im Gegenteil plötzlich und spektakulär. In aufreibenden Szenen schließt sich das Opfer (in einem Haus, einer Schule, einem Zimmer, einem Auto) ein und wartet dort mit klopfendem Herzen, während sich der Mörder den Weg hinein bahnt - schlägt, hackt oder schlitzt. Dies sind die sogenannte »Penetrationsszene« und üblicherweise Schlüsselmomente des Films.

Der Schrecken, der durch das Eindringen des Monsters in den Schutzraum des Opfers hervorgerufen wird, wird im gefeierten Film Get Out von Jordan Peele auf eine weitere Ebene gehoben. Im Film versuchen die Monster in den Verstand des Opfers einzudringen, um dessen Gehirn und Verstand zu kapern. Das Bild der Gehirntransplantation wird verwendet, um die Fortdauer von Rassismus zu veranschaulichen. In diesem Film ist, wie Peele es beschreibt, »die Gesellschaft selbst das Monster«.

Der Ort des Schreckens in THE VISITORS ist die lutherische Friedenskirche in Johannesburg. Sie befindet sich in Hillbrow, einem Viertel, das während der Zeit der Apartheid von Deutschen geprägt war. Anschließend wurde es zu einem zentralen Ort für Migrant:innen aus den Townships, aus dem ländlichen Südafrika und anderen afrikanischen Ländern, insbesondere Nigeria. Heute kämpft das Gebiet mit einem hohen Grad an Intoleranz und Xenophobie. Im Jahr 2019, als die gesellschaftlichen Spannungen (später zusätzlich befeuert durch die Covid19-Pandemie) zunahmen, kam es auch in Hillbrow zu femdenfeindlichen Übergriffen. Die lutherische Friedenskirche ist das einzige architektonische Überbleibsel der dortigen deutschen Gemeinde. Das Gebäude, welches jetzt in Church of Peace umbenannt wurde und Outreach-Community-Programme anbietet, erinnert nach wie vor an die Strukturen der Vergangenheit. Seine neoromanische Architektur und sein markanter, barocker Glockenturm heben sich auf befremdliche Weise vom Rest der Nachbarschaft ab. Es wirkt nahezu wie ein Geisterhaus einer europäischen Religion.

TAMARA SAPHIR arbeitete als Dramaturgin bereits bei Hillbrowfication mit Constanza Macras zusammen und begleitet ebenso THE VISITORS in seiner Enstehung.

Aus dem Englischen von Oliver Chrzanoswki