Meine Verlegenheit ist: ich bin privat keine eifrige Leserin und habe eigentlich immer nur mit beruflicher Lektüre zu tun – und diese Art der Versenkung ist für mich, so sehr sie mir gefällt, etwas anderes als das Lesen aus persönlichem Interesse, was ich in den letzten anderthalb Jahren nicht wirklich betrieben habe.
Nehme ich nun aber die Bücher, mit denen ich zuletzt gearbeitet habe, dann würde ich sagen, dass der (nicht neue) Roman Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann für mich wie ein Schlüsselloch in eine nahe, mir aber fremde Welt funktioniert hat. Denn vor Kriegsausbruch wusste ich beschämend wenig über die Ukraine und erfüllte jegliche Kriterien westlicher Ignoranz, die Salzmann am Rande attestiert. Die Lektüre ihres Buches hat mich an die Geschichte des Landes herangeführt, mir insbesondere die Nackenschläge dieses Volkes seit ‘33 aufgezählt und mich ermutigt, mehr erfahren zu wollen aus weiteren Büchern, aus Podcasts und Filmen, durch Begegnungen mit Künstler:innen aus der Ukraine. Eine Arbeitslektüre hat mich also zur privaten Arbeit verführt, hat mich jenseits der ratlosen Schockstarre neugierig gemacht, und wo Neugier auf den anderen ist, da gedeihen auch Respekt und Empathie – mehr kann ich mir eigentlich von einem Buch nicht wünschen.
Wiebke Puls, München, 15. Juni 2023