Michail Lermontow: Ein Held unserer Zeit | © Markus Scheumann

Eigentlich beschäftige ich mich momentan mit anderer Literatur, nicht mit einem Roman. Ich verfolge gespannt und bisweilen angespannt die Debatten dieser Tage um Identität und Mitwirkung. Wer darf, jedenfalls nach Ansicht einiger Protagonist*innen innerhalb dieser Debatten, wann zu welchen Diskussionen aufgrund persönlicher Betroffenheit im Rahmen sogenannter Identität auf welche Weise mitwirken? Was ist meine eigene Haltung zu diesen Debatten, wie kann ich mich daran beteiligen – auf und jenseits der Bühne?

Vor einigen Wochen allerdings habe ich mit Begeisterung Michail Lermontows Roman Ein Held unserer Zeit gelesen, der die Arroganz der Privilegiertheit auf den Punkt bringt. Autor und Werk waren seinerzeit strenger Kritik ausgesetzt, woraufhin Lermontow darauf hinwies, dass Autor und Protagonist hinsichtlich ihrer moralischen Integrität durchaus zu trennen seien. Eine Einlassung - ich weiß nicht mehr, wo ich sie gelesen habe – die ich, obwohl offensichtlich vonnöten, enttäuschend fand, zumal als Verteidigung vorgebracht. Nicht, weil ich insgeheim hoffte, Lermontow möge mittels seiner Hauptfigur gewissermaßen Kronzeugnis seiner selbst abgelegt haben, sondern weil ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer solchen Erklärung in meinen Augen bereits das Kunstwerk an sich angreift. Ebenso wie es die solchermaßen vorgebrachte Kritik auch tut, indem sie sich wahlweise der biographischen Heroisierung oder Verzwergung widmet. Wir brauchen (Anti-)Held*innen unserer Zeit, die unabhängig sind vom Leben ihrer Autor*innen, wir brauchen die Kunst als eine Gegenwelt, in der andere Regeln gelten als im Alltag.

Lermontows Hauptfigur Petschorin entgeht in einem Duell knapp dem Tode, was Lermontow selbst in einem ebensolchen Duell Monate nach Erscheinen seines Romans nicht vergönnt war. Was also sollte das eine mit dem anderen zu tun haben…?        

Markus Scheumann, Wien, 30. März 2021
Schauspiel Der Untergang des Hauses Usher