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Georges Perec: Lo infraordinario | © Mariano Pensotti
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Georges Perec: Lo infraordinario | © Mariano Pensotti

Es gab eine Zeit, da haben wir Bücher gestohlen. Besonders in Buchläden, denn wir hatten kein Geld. Aber wir haben uns auch gegenseitig bestohlen. Es war nicht ungewöhnlich, dass wir nach einem Abendessen mit Freunden in den kleinen Wohnungen, in denen wir wohnten, bemerkten, dass einige unserer Bücher verschwunden waren. Das hat nicht viel ausgemacht, denn wir wussten, dass wir dasselbe täten, sobald sie uns in das Haus anderer Leute einladen würden. Wir haben Bücher gestohlen, damals wertvolle Objekte, in einem Kontext, in dem wir natürlich auch Diskurse, politische Positionen oder Anekdoten gestohlen haben: Oft präsentierte X eine Erfahrung, von der Y in der vorangegangenen Woche in Z’s Haus erzählt hatte, als seine eigene. Das subtile Vergnügen, sich die Fiktionen anderer Leute anzueignen.

Aber einmal, nach einer Geburtstagsfeier, nahm jemand Perecs L'infra-ordinaire (dt: Warum gibt es keine Zigaretten beim Gemüsehändler?) aus meiner Wohnung mit. Mein Lieblingswerk von Perec war Das Leben Gebrauchsanweisung. Sicher aufgrund seiner Größe hatte es niemand gewagt, es in seinen Kleidern zu verstecken. Aber ich liebte L'infra-ordinaire. Es war klein, eine schöne Ausgabe. Und es wurde mir von einer Person geschenkt, die ich sehr liebte, kurz bevor sie in ein anderes Land gezogen war. Sie hatte es mir nicht nur gegeben, sie hatte es gewidmet und mit einem hastigen Porträt von mir in dem Buch dekoriert. Alles ein Exzess! Ich hasste meine Bekannten. Ich führte eine Untersuchung durch, die dem Geheimdienst eines diktatorischen Landes würdig war. Es gelang mir nicht, herauszufinden, wer mir das Buch weggenommen hatte.

Fast fünfzehn Jahre später, zu Beginn der Pandemie, lud mich ein Freund ein, in seinem Haus zu Mittag zu essen. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Die ersten Nachrichten über das Virus wurden bekannt und waren fortan unser Hauptgesprächsthema. Bevor ich mich verabschiedete, ging ich, vielleicht, weil es ein alter Freund war, zu meinem alten Ritual über: ich sah mir oberflächlich seine Bibliothek an, um zu sehen, was er las, etwas, was ich bei fast niemandem mehr mache. Und da fand ich es wieder, L'infra-ordinaire, verstaubt in einem der unteren Regale. Ein Blick reichte mir, um zu sehen, dass es meins war. Es machte keinen Sinn, eine langjährige Freundschaft in Frage zu stellen, nur, weil ich seine alte Untat entdeckt habe. Aber ich stellte fest, dass ich immer noch wusste, wie ich ein Buch schnell zwischen meine Kleider stecken konnte. Ich sehe das nicht als Diebstahl an, da ich es mir nur zurückgenommen habe. Darüber gibt es nichts zu diskutieren.

Während der Pandemie habe ich es noch einmal gelesen. Unweigerlich wunderte ich mich über die Person, die ich vor 15 Jahren war, und darüber, was diese Person in diesem Buch gesehen hätte. Ich wusste nicht, wie ich mich klar an das eine oder das andere erinnern sollte. Aber ich habe wieder Perecs Fähigkeit bewundert, der scheinbaren Banalität des Alltags einen epischen Anstrich zu geben. In Zeiten, in denen die Welt von einem miesen Drehbuchautor geschrieben zu sein scheint, besessen von katastrophalen Ereignissen, sind diese kleinen Geschichten, die aus einem Fenster mitgehört oder an der Ecke, an der wir jeden Tag vorbeigehen, gestohlen werden, der sichere Hafen inmitten eines Sturms.

Mariano Pensotti, Buenos Aires, 7. April 2021
Regie und Text Los Años/Die Jahre