Jürgen Flimm | © Bernd Thissen

Die Ruhrtriennale trauert um den großen Theatermacher Jürgen Flimm. 2005 bis 2007 leitete er die zweite Ausgabe der Ruhrtriennale, dem internationalen Festival der Künste im Ruhrgebiet. Das künstlerische Programm setzte Schwerpunkte zu den Themen Romantik, Barock und Mittelalter. Dieser Dreiklang gelang als Suche nach Reibung und Gegenwärtigkeit in der Beschäftigung mit früheren Epochen und brachte einzigartige und neue Verbindungen hervor. 2008 leitete Jürgen Flimm für ein weiteres Jahr als künstlerischer Geschäftsführer die Ruhrtriennale.

Hier versammlen wir Stimmen und Rückblicke von Wegbegleiter:innen und Freund:innen.

Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und Aufsichtsratsvorsitzende der Kultur Ruhr GmbH:
»Jürgen Flimm war ein Macher mit einem feinen Gespür für die Menschen, die Region und natürlich für das große Theater – genau der Richtige, um das noch junge Festival von Gerard Mortier zu übernehmen. Energisch, voller Lust und Tatendrang hat er die Ruhrtriennale weiterentwickelt und unzählige unvergessliche Momente geschaffen. Sein Enthusiasmus für das Theater und seine Vision, Kunst und Kultur für alle zugänglich zu machen, inspirierte uns und viele andere. Wir sind dankbar für alles, was er für die Ruhrtriennale und die Kulturlandschaft im Allgemeinen getan hat, und werden ihn in lebendiger Erinnerung behalten.«

Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident a. D. und stellv. Vorsitzender des Aufsichtsrates:
»Mit Jürgen Flimm hat eine der ganz großen Persönlichkeiten die Bühne verlassen. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat er das Theaterleben nicht nur in Deutschland begleitet und geprägt als gefeierter Regisseur und  souveräner Intendant an den wichtigsten Häusern und Festivals im In- und Ausland, darunter vier Jahre als künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale, die ihm nach dem Gründungsintendanten Gerard Mortier die frühe Etablierung unter den großen Festivals Europas verdankt. Wie wichtig ihm diese Aufgabe war, verdeutlicht sein Verzicht auf eigene Inszenierungen während der Intendanz, die dem weltweit gefragten Regisseur schwer gefallen sein muss, aber gerade deshalb anderen kreativen Köpfen Entfaltungsmöglichkeiten in außergewöhnlichen Projekten bot.

Dass Fußball und Oper gar nicht so weit auseinanderliegen, wie er seinem alten Freund Otto Rehhagel versicherte, konnte kaum jemand so glaubwürdig und so treuherzig behaupten wie Jürgen Flimm, dem jeder abnahm, dass er beides so wichtig nahm wie eben möglich aber auch so gelassen wie nötig.

Alles nur Theater? Das Angebot Gerhard Schröders, Kulturstaatsminister zu werden, hat er abgelehnt. Eigentlich schade: Es wäre ein Lustspiel für die Politik geworden und eine Tragödie für das Theater.«

Dr. Michael Vesper, Minister a.D. und Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Ruhrtriennale:
»Wenn ich an Jürgen Flimm denke, habe ich immer sofort sein verschmitztes Lächeln vor Augen. Ein Lächeln, das alles zeigte: Interesse, Nachdenklichkeit, Zuversicht. Er war ein Menschenfänger, der für Ideen leidenschaftlich brannte – aber nicht nur visionär und enthusiastisch, sondern sehr pragmatisch: Er wollte, was ihn faszinierte, auch umsetzen.

Jürgen liebte es, mit Menschen zu kommunizieren – über Schauspiel und Oper, vor allem im direkten Austausch. Obgleich schon zu Lebzeiten eine Legende, baute er doch um sich herum keine Barrieren auf, er war nahbar und stets präsent.

Wir haben Jürgen Flimm sehr viel zu verdanken. Er hat die Idee der Ruhrtriennale nach Gerard Mortier mit großem Engagement übernommen und nicht nur für drei, sondern angesichts des Todes seiner designierten Nachfolgerin Marie Zimmermann vier Jahre lang geprägt. Wie er sein Programm spartenübergreifend komponierte, seine Ideen vorstellte, seine Künstler motivierte, war ein einziger Genuss.

Jürgen Flimm wirkte an vielen Orten: in Hamburg, München, Salzburg, Berlin, New York und an der Ruhr. Tatsächlich aber war und blieb er stets ein Kölner durch und durch. Er identifizierte sich mit dieser Stadt, mit ihren Schwächen, ihrem kreativen Chaos, ihrer tollen Szene. Jürgen war nie halb oder unentschieden, er war immer ganz, ganz da. Er hatte ein großes Herz für die Menschen und ihre Kultur – ein kölsches Herz.

Ich werde ihn sehr vermissen!«

Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin Regionalverband Ruhr (RVR):
»Jürgen Flimm hat viele Spuren hinterlassen: in Köln, in Salzburg, vor allem in Berlin, aber auch im Ruhrgebiet. Während seiner Ruhrtriennale-Intendanz konnte der große Theatermann Flimm seine Leidenschaft für beides, für Theater und Oper ausleben, so dass die Grenzen zwischen den einzelnen Sparten verschwammen. Mit der fulminanten Inszenierung der „Soldaten“ in der Bochumer Jahrhunderthalle hat Flimm für die Ruhrtriennale während seiner Intendanz eine Inszenierung geschaffen, die Maßstäbe gesetzt hat. Noch heute gehört seine preisgekrönte Arbeit zu den Stücken, die vielen Zuschauerinnen und Zuschauern der Ruhrtriennale in Erinnerung geblieben sind. Er hat während seiner Intendanz eindrucksvoll gezeigt, wieviel Leben und kreatives Potenzial in den eindrucksvollen Stätten der Industriekultur im Ruhrgebiet steckt. Leider gab es in den darauffolgenden Jahren keine persönliche Begegnung mit Jürgen Flimm und mir als Regionaldirektorin, was ich sehr bedauere. Denn er gehört zweifelsohne durch seine unverwechselbare Handschrift und seinen Tatendrang zu den prägenden Künstlern in der deutschsprachigen Theaterlandschaft und bleibt über seinen Tod hinaus ein erfolgreicher Architekt der Ruhrtriennale. Er hat bei dem großen internationalen Festival der Künste im Ruhrgebiet seine Spuren deutlich hinterlassen.«

Barbara Frey, Regisseurin und Intendantin der Ruhrtriennale 2021-2023:
»Jürgen Flimm war, im besten Sinne, ein Geschichtenerzähler. Was in seiner Arbeit erlebbar wurde: Er liebte die Künste, und er liebte seine Sänger:innen und Schauspieler:innen.«

Thomas Wördehoff, Dramaturg Ruhrtriennale 2001–2008:
»Seine Leidenschaft für Theater, Literatur und Musik sprang einem förmlich ins Gesicht, und zwar unabhängig von Bildung, sozialer Schicht und Kultur seines Gegenübers. Jede Form von Kunst war für Jürgen Flimm Selbstverständlichkeit und ein Lebenselixier, das für alle erreichbar sein sollte. Zimmermanns «Die Soldaten», Mozart oder Bach-Kantaten ergriffen ihn ebenso wie Songs von Patti Smith oder Niedecken. Er liebte Edita Gruberová, und er liebte Castorf. Gegensätze zogen ihn magisch an: Für die Ruhrtriennale dichtete Gert Jonke «Eine seltsame Sache» über Mozarts Librettisten Lorenzo Da Ponte; Andrea Breth schuf zusammen mit Christian Boltanski, Jens Harzer und Elisabeth Leonskaja die grandiose Installation «Nächte unter Tage»; und schliesslich segelte mit dem «Trojanischen Boot» von Mnozil Brass immerhin «die erste Operette des 21. Jahrhunderts» ins Ruhrgebiet. Die Etagenwechsel zwischen E und U waren ihm bis zum Ende egal – ihn fesselten Fantasie, Intelligenz und Feuer einer künstlerischen Aussage.

Aufgesetzte Allüren verabscheute er aus ganzem Herzen. Was haben wir uns amüsiert, wenn wieder mal ein Dramaturg oder eine Theaterleiterin über die «wichtige Arbeit» eines Regisseurs raunte oder die ästhetische Relevanz eines Werks kryptisch «hinterfragte». Jeglicher Insider-Jargon war ihm fremd. Dass er eine «rheinische Frohnatur» war, ist natürlich Unsinn. Ich habe ihn als nachdenklichen, enthusiastischen, großzügigen, genauen, aufbrausenden, gelassenen, liebevollen, komischen, reizbaren, energischen, neugierigen, treuen Regisseur, Intendant und Freund kennengelernt. Dass er jetzt für immer weg sein soll, ist schwer zu begreifen.«


Jürgen Flimm ist am 4. Februar im Alter von 81 Jahren verstorben.
In Gedenken an ihn und seine großen Verdienste für die Kunst trauert das Team der Ruhrtriennale