© Joanna Bednarczyk

Ich komme aus einer kleinen Stadt (8.500 Einwohner), die vor dem 2. Weltkrieg zu Deutschland gehörte und Löwenberg in Schlesien hieß. Nach dem Krieg kamen Polen aus sehr unterschiedlichen Gegenden dorthin. Ich wuchs in einer Familie auf, deren Wurzeln und Herkunft unklar waren; es wurde nicht überliefert, wie meine Urgroßeltern und Urgroßmütter nach Lwówek Śląski gekommen waren. Keiner in meiner Familie hatte eine höhere Bildung genossen und keiner hat sich für Geschichte oder Politik interessiert. Nachdem ich die Oberschule absolviert hatte, ging ich nach Krakau, wo ich zunächst Psychologie und Russische Philologie studierte und dann Regieführung. Erst in diesen letzten Studiengängen (da war ich schon 26 Jahre alt!) erkannte ich, dass es sowas wie soziale Klassen gibt. Es fiel mir auf, dass einige Leute sich mehr für Kultur und die Welt interessierten, weil sie aus einer anderen sozialen Schicht kamen als ich. Sie drückten sich anders aus, sie benutzen eine andere Sprache und durch ihr Verhalten bauten sie Autorität und symbolisches Kapital auf. Ich begann mich für das Thema soziale Klassen zu interessieren und stieß auf Andrzej Leders Prześniona rewolucja [Traumrevolution]. Diese Lektüre hat mich schockiert. Ich begann besser zu verstehen, wer ich bin. Ich begann meine Eltern besser zu verstehen. Ich begann die Phänomene besser zu verstehen, die mich vorher in den Wahnsinn und den gedankenlosen Ekel getrieben hatten – polnische Homophobie, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, Ressentiments, Martyrium, sozialer Egoismus. Leder erforscht die polnische Identität – oder vielmehr deren Fehlen – mit Hilfe psychoanalytischer Instrumente und ist der erste, der sich für einen solchen Ansatz entschieden hat. Jeder Satz seiner Dissertation überzeugt. Es kommt selten vor, dass jede Art von Lektüre es dem Leser ermöglicht, die Phänomene, die seine alltägliche Realität sind, auf so umfassende Weise zu verstehen. Insofern ist es für mich eine prägende Lektüre.

Joanna Bednarczyk, 22. Juli 2022