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Kurt Weill: Ein Leben in Bildern und Dokumenten | © Annamaría Lang
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Kurt Weill: Ein Leben in Bildern und Dokumenten | © Annamaría Lang
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Kurt Weill: Ein Leben in Bildern und Dokumenten |

In der Wohnung mag ich es still. Ich höre auch keine Musik zu Hause. Anfang Januar habe ich dieses sehr gewichtige Buch vom Regal genommen. Ich habe reingeblättert, und mich hat eine solche Aufregung überwältigt, wie wenn man sich verliebt. Ab jenem Moment hat die Beschäftigung mit dem Buch meine ganze freie Zeit erfüllt. Ich habe es gelesen, hin- und herspringend, ich habe mir die Bilder gründlich angeschaut, ich habe Noten gesucht und ich habe zu singen begonnen. Jeden Tag, regelmäßig, wie wenn man zur Schule oder zur Arbeit geht. Durch die Lieder von Kurt Weill habe ich mich gerettet, bin zum Ufer gelangt, habe eine neue Heimat gefunden, ich bin an ihnen gescheitert und feierte mit ihnen Erfolge, habe Deutsch, Französisch, Englisch gelernt, habe eine neue Familie bekommen, habe mich verheiratet und geschieden, ich war ein Mann, ich war ein Jude, aber vor allem: Ich habe im Lockdown zu mir gefunden. Ich habe wieder Geheimnisse gehabt, ich habe wieder empfunden. Mein Klavier, mit den zerstreuten Notenblättern darauf, mit Notizen, mit den Spuren von Gläsern – wie ein Doppelbett in einem Hotelzimmer – bewahrt die schwüle Atmosphäre dieser Rendezvous.

Annamaría Lang, Budapest, 12. März 2021
Schauspiel Der Untergang des Hauses Usher