»Qui es-tu? Et pourquoi ton amour fait-il tant de mal?« – (Wer bist du und warum kann man dich ohne Schmerz nicht lieben?)
Im Kontext von Mozarts Don Giovanni habe ich mich durch das Dickicht des Don Juan-Mythos geschlagen. Seit der Renaissance ist der Stoff über den Womanizer ein Dauerbrenner, aber nach weiblichen Erzählerstimmen muss man lange suchen. Eine abschätzige Bemerkung in der Sekundärliteratur über die mehrseitige Abrechnung »Verflucht seyst du Don Juan« hat mich zum Roman Lélia geführt. Mir ging es anders als dem Literaturwissenschaftler Franz Rauhut. Ich war vollständig elektrisiert von der Schonungslosigkeit, mit der George Sand durch ihre Protagonistin spricht:
»Verflucht seist du, Don Juan! [...] Wo hattest du die unsinnigen Rechte her, nach denen du gelebt hast? Wann und wo hat Gott dir gesagt: ›Siehe, die Erde ist dein, du bist Herr und König über alle Familien, alle Frauen sind für dein Bett bestimmt, alle Augen, die du anlächelst, werden in Tränen zerfließen. Jede Moral wird ungültig, wenn du sprichst: Ich will sie. Wenn ein Vater seine Tochter von dir fordert, wirst du ihm den Degen in sein trostloses Herz stoßen und das weiße Haar mit Blut und Kot beflecken. Wenn ein wütender Liebhaber dir seine Geliebte mit dem Schwerte in der Hand streitig machen will, wirst du seinen Zorn verspotten ohne je an dir zu zweifeln. Du wirst ihn festen Fußes erwarten und mit Gelassenheit zustechen.‹«
George Sand war eine inspirierende Persönlichkeit, die im heutigen Literaturkanon leider nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Allenfalls wird sie als Chopins Geliebte erinnert - ihr sozialkritisches und politisches Engagement ist in Vergessenheit geraten. Gelebt hat sie von 1804 bis 1876, zu einer Zeit also, in der der literarische Diskurs männlich dominiert war. Mit bürgerlichem Namen hieß sie Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil. Um im öffentlichen Leben von ihrem Talent leben zu können, hat sie sich aber männliches Pseudonym gegeben, unter dem sie circa 180 Bücher veröffentlichte. Auch durch ihr äußeres Auftreten, versuchte sie eine »Autorität des Autors« aufzubauen: viele Fotos aus jener Zeit zeigen sie im Anzug und Zigarette rauchend. Ihre Romanfiguren, und so auch Lélia, sind meist Grenzgängerinnen, die das gesellschaftlich Erlaubte oder das sozial Mögliche ihrer Zeit überschreiten. Sands Sprache ist poetisch vielfältig, ihr Stil subversiv, denn sie kann mit vermeintlich männlicher Erzählerstimme zugunsten des Weiblichen argumentieren.
Lélia, die Hauptfigur des Romans ist Engel und Dämon zugleich, lässt sich nicht in Schubladen wie »fragile« oder »fatale« verräumen.
Eine unkonventionelle Lektüre, die ich von Herzen empfehle.
Anika Rutkofsky, 20. Mai 2021
Regie D • I • E