In »Science fiction and the future« berichtet die Autorin Ursula Le Guin über die Vorstellung »quechuasprachiger Andenvölker [...], dass man die Vergangenheit, die man ja kennt, sehen kann, sie liegt vor einem, direkt vor der Nase. Das ist eher eine Wahrnehmung als eine Handlung, ein Bewusstsein eher als ein Vorgang. (...) Die Zukunft liegt im Rücken, über die Schulter sozusagen. Die Zukunft ist das, was man nicht sehen kann, sofern man sich nicht umdreht und quasi einen Blick erhascht. Und manchmal wünscht man sich, man hätte das nicht getan, denn man wirft einen Blick auf das, was sich von hinten an einen anschleicht.«
Der futuristische Ansatz dieses Projekts hat uns einen gewissen Spielraum gegeben, Gefühle und Gedanken über unsere damalige Gegenwart zu formulieren. Vier Jahre später liegt einiges dieser »Zukunft« bereits hinter uns. Oder vielmehr, um in Le Guins Bild zu bleiben, direkt vor unserer Nase – da es ja unsere Vergangenheit wurde. Wenn wir uns unterhalten, wird uns klar, dass die Zeit für uns unterschiedlich schnell vergeht. Wir lachen darüber, dass vier Jahre für jemanden im mittleren Alter wie mich nicht besonders lang ist, während das den jungen aus der Gruppe ausgesprochen lang vorkommt.
Tisetso: In unserem Stück geht es um die Zukunft, aber eigentlich habe ich den Eindruck, dass die Zukunft jetzt geschieht! Wie soll ich das sagen ... Wie die Technik sich entwickelt und langsam, aber sicher die Kontrolle übernimmt. Zum Beispiel haben wir früher mit unseren Lehrerinnen und Lehrern gesprochen. Jetzt holen wir uns die Hausaufgaben aus den Sozialen Medien. Hätte ich nicht gedacht, dass die Technik sich dermaßen breit macht.
Man kann nirgends mehr hin ohne Handy. Man geht nicht mehr zur Bank, man überweist Geld mit einer App auf dem Handy. Man besucht seine Freunde nicht mehr, stattdessen ruft man über Video an oder schickt eine SMS, wenn man sich vermisst. Und egal, wo man hingeht, man macht immer Fotos mit dem Handy. Unser Gedächtnis befindet sich jetzt auf unseren Handys anstatt in unseren Herzen und Gehirnen.
Tshepang: Vor vier Jahren war mein Bild von der Zukunft noch weniger technologisch, weniger digital ... und dann kam das Metaverse! Alles wird technischer, die zwischenmenschlichen Verbindungen gehen verloren.
Pearl: Wenn ich jetzt an die Zukunft denke, kriege ich richtig Angst!
Als die Pandemie losging, waren wir zu Hause, das ging ja noch. Aber dann wurde meine Mutter ernsthaft krank und kam ins Krankenhaus, und zu Hause wurde meine Schwester richtig krank, und noch jemanden aus der Familie im Krankenhaus konnten wir uns nicht leisten, und ich dachte plötzlich: Jetzt kann alles Mögliche passieren!
Ich höre oft, wie jemand davon spricht, dass das Leben wieder wie früher wird, aber keiner will darüber sprechen, wie wir jetzt unter diesen neuen Bedingungen leben. Ich glaube, die denken rückwärts. Wir müssen akzeptieren, dass sich Dinge ändern und nach Möglichkeiten suchen, wie wir damit klarkommen.
Ich frage mich, ob Pearls Bild davon, dass jemand »rückwärts denkt«, in dieselbe Richtung weist, wie das Konzept der »toxischen Nostalgie« von Naomi Klein: »ein krampfhaftes Festhalten an einer toxischen Vergangenheit und die Weigerung, eine verwickeltere Zukunft mit mehr Querverbindungen zu akzeptieren« – welches der Grund für viele unserer demokratischen, geopolitischen und klimatischen Krisen ist.
Pearl: Wenn ich an all die gefährlichen COVID-Varianten denke, die noch kommen könnten (...) und diesen Überlebensmodus, so »jeder kämpft für sich allein« ... denke ich an Zombies! Ja, ich glaube, wenn ich heute ein Stück über die Zukunft machen sollte, kämen darin Zombies vor.
Als es bei uns in Südafrika noch Apartheid gab, standen die Schwarzen auf der einen Seite und die Weißen auf der anderen und so weiter ... Jetzt gehen die Leute anders miteinandern um, je nachdem, wie sie zu dieser ganzen Impfgeschichte stehen, und niemand hört dem anderen zu. Und wenn man geimpft ist, darf man rein, aber die Ungeimpften nicht. Hierzulande weckt so etwas alte Ängste! Wir durchleben die Geschichte von Ausgrenzung und Trennung noch einmal.
Nompilo: Für mich sieht die Zukunft jetzt düsterer aus. Mir fällt es im Moment schwerer, eine hellere Zukunft zu sehen als vor vier Jahren.
Tshepang antwortet relativ optimistisch: Ich glaube, in Zukunft wird man einen viel breiteren Denkhorizont haben. Alle lernen gerade bestimmte Dinge, alle lesen ... das macht Hoffnung, dass die Menschen sich ohne Stereotype verstehen. Während der letzten Jahre haben wir auf der ganzen Welt Black Lives Matter erlebt. Das hat zu einem Bewusstsein geführt, dass Schwarze angegriffen werden. Es ging aber nicht nur um Schwarze. Auch Weiße, die nicht Rassisten sind, fühlen sich angegriffen, weil alle sie für Rassisten halten. Alle waren also gestresst, und ich frage mich, wie das am Ende zu einer Einheit führen soll.
Mir ist klargeworden, dass ich für Hillbrow eine Zukunft sehen will, in der alle friedlich und harmonisch zusammenleben ... Leute mit verschiedener Herkunft leben zusammen und bilden eine Gemeinschaft. Ich will hier Liebe und Harmonie in Vielfalt sehen. Irgendwie glaube ich, dass das jetzt schon hier entsteht, aber ich finde, das könnte noch viel mehr sein.