Es gibt eine Szene im Skript, die entstand, als ich der Gruppe im August 2020 beitrat. Die Gruppenmitglieder blicken auf ihr Ich aus der Vergangenheit zurück. Die aus der Vergangenheit sind wie die Amische gekleidet. Sie machen dieselben Gesten wie jene aus der Gegenwart. Sie sprechen dieselben Sätze, als würde ein Echo zwischen den beiden Zeitperspektiven hin und her pendeln. Bei diesem Treffen haben wir versucht, die Träger des Fortbestehens zu finden. Hinterlassen Wesen, die im Laufe der Zeit durch andere Wesen ersetzt werden, Spuren im Universum? Wenn dem so ist, dann wie? In der Sprache? Im Unbewusstsein? In den Genen? In der Erinnerung? Wenn wir tanzen, atmet dann in unseren Muskeln die Erinnerung von anderen tanzenden Körpern?
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Die Mitglieder der Gruppe habe ich seit 1,5 Jahren nicht mehr gesehen. Seit unserem letzten gemeinsamen Tanz habe ich viele Male getanzt. An anderen Orten, mit anderen Menschen. Ich bin Atheistin, ich glaube nicht an Gott. Oft fällt es mir deshalb sehr schwer, besonders jetzt. Seit Tagen wache ich auf und denke mir: Ja, du lebst noch. Ich frage mich, ob etwas von mir irgendwo bleiben wird, wenn ich sterbe?
Es geht mir nicht um materielle Dinge. Ich denke vielmehr an die Kontinuität bestimmter Bewegungen, intellektueller Prozesse, an private Philosophie. Ich schätze, ich werde einfach mit meinem Tod verschwinden, das war es dann. Aber ich weiß, dass bestimmte Emotionen und Gefühle, die ich erlebe, in genau der gleichen Gestalt in einer anderen Person erscheinen werden. Eine dieser emotionalen Konstellationen, die ich spüre – und dessen bin ich mir sicher –, die in Zukunft jemand nachspüren wird, ist das Gefühl, das mich erfüllt, wenn ich mit anderen Menschen in irgendeinem Raum tanze.
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Während ich diesen Text schreibe, reiße ich mich immer wieder vom geöffneten Fenster meines Schreibprogramms los und schaue auf die Nachrichten. Es ist Anfang März 2022. Seit einer Woche ist Krieg in der Ukraine.
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Bis 2020 hatte ich nie Angststörungen. Oder ich wusste nicht, dass ich daran litt, weil ich ständig in Bewegung war und es keine Gelegenheit gab, die Angst zu spüren, die mich vielleicht manchmal erfüllte. Als die Pandemie begann und die Tage leer wurden, hatte die Angst endlich genug Raum und Zeit. Hey, ich bin hier, lernen wir uns kennen. Ich hasse sie. Ich bevorzuge gewöhnliche Angst. Sie dauert nicht so lange und man weiß, woher sie kommt.
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Bewegung ist gut gegen Angst. Wenn du in Bewegung bist, hat Angst keinen Platz. Deshalb sind die Clubs am Wochenende voller tanzender Menschen und an Wochentagen rennen die Leute zum Bus, als ob der nächste nicht in fünf Minuten käme.
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In der Pandemie stellte sich heraus, dass die Einzimmerwohnung, in der ich mit meinem Partner lebte, für uns nicht ausreichte. Wir nahmen all unser Geld zusammen und kauften eine Wohnung. Ein Jahr lang haben wir sie renoviert. In Polen ist die Renovierung ein traumatischer Prozess. Ich habe zwei harte Jahre hinter mir und noch schlimmere Jahre vor mir. Die Angst ist überwältigend. Ich laufe in meiner neuen Wohnung umher und bleibe hin und wieder hängen. Ich stehe still und reglos da. Ab und zu schaue ich aus dem Fenster und beobachte das Gebäude der polnischen Spionageabwehr. Meine Wohnung befindet sich in einem Altbau, der von Regierungsgebäuden des Militärs umgeben ist. Ich stelle mir vor, dass ich eines Tages nicht aufwache und es nicht einmal merke – meine Nachbarn auch nicht.
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Als Anfang 2020 in den Medien geschrieben stand, dass die Pandemie bis zu zwei Jahre andauern könne, habe ich gesagt: Das ist unmöglich. Als mich mein Vater vor drei Wochen fragte, ob ich glaube, dass es einen Krieg geben wird, sagte ich: ein gewöhnlichen nicht, vielleicht einen hybriden.
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Ich habe den Wissenschaftlern immer geglaubt, die die Menschheit vor der Klimakatastrophe gewarnt haben. Bis vor kurzem hatte ich jedoch gehofft, dass sie nicht so schlimm werden wird, wie angekündigt. Jetzt bin ich überzeugt, dass sie sogar noch schlimmer werden wird. Und dass sie eintreten wird, bevor wir dafür bereit sind.
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Ich weiß, dass Ereignisse wie Respublika bewirken, dass man die Welt anders sieht und wahrnimmt. Ich habe es selbst erlebt. Ich weiß, dass die Gemeinschaft, die bei solchen Veranstaltungen entsteht, absolut real ist. Sie ist auch von kurzer Dauer. Über viele Stunden, Wochen und Monate ist man mit jemandem zusammen, mit dem man ein Gefühl der Begeisterung teilt, und dann kommt die unvermeidliche Trennung.
Ich weiß, dass Ereignisse wie Respublika bewirken, dass man die Welt anders sieht und wahrnimmt. Ich habe es selbst erlebt.
Ich glaube jedoch daran, dass sich der Körper und das Gehirn an vieles erinnern. Die Rezeptoren speichern Erinnerungen an all das, was stark genug war, um in ihnen eingeschrieben zu werden. Respublika ist für viele Menschen eine solche Erfahrung. Die Erfahrung von Offenheit, Freiheit, Befreiung und Gemeinschaft, die bei Respublika-Teilnehmern entsteht, ist ein Schatz, den man in sich bewahren kann. Wird sich die Welt dadurch verändern? Nein. Wird sich der einzelne Mensch dadurch verändern? Wahrscheinlich nicht. Geht es unbedingt um die Veränderung? Vielleicht nicht. Reicht der Versuch der Veränderung, um zu fühlen, dass man alles Mögliche dafür getan hat? Nein. Ist der Versuch das Einzige, was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt? Ich glaube schon. Ist das eine triviale Schlussfolgerung? Ja. Aber genau an diesem Punkt endet meine Vorstellungskraft.
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Respublika war der Versuch, sich die Zukunft vorzustellen. Die Mitglieder der Gruppe leben in einer Welt ohne Tiere. Der Kapitalismus ist zusammengebrochen. Facebook und Ryanair gibt es nicht mehr. Die Gruppe hat ihre eigene Infrastruktur dabei – Musikausrüstung und Attrappen von Wohnräumen, in denen sie vor vielen Jahrzehnten gelebt haben. In dieser behelfsmäßigen, nomadischen Welt tauchen sie in Musik ein. Was suchen sie in ihr? Wahrscheinlich viele Dinge. Oder vielleicht nichts. Die Zukunftsvision, die Łukasz und ich entwickelt haben, ist melancholisch und traurig, aber nicht ohne Liebe. Heute, fast zwei Jahre nach ihrer Entstehung, erscheint sie mir fast unangemessen empfindlich, vielleicht sogar peinlich. Während ich diesen Text schreibe, wird mir klar, dass diese Vision von Anfang an durch die Zusammenarbeit zweier völlig unterschiedlicher Köpfe, Charaktere und Temperamente geprägt war. Mein Gesicht ist wie Sandstein. Ab und zu bewegt sich etwas darin, wie Sandkörner bei einem leichten Windstoß auf einem Stein. Łukasz’ Gesicht ist wie eine Handtasche, aus der in einer Sekunde alles herausquillt: Lächeln, Zähne, Französisch, Polnisch, Englisch, Russisch. Und kleiner Rauch vom Iqos. Meine Skepsis und seine Hoffnung. Wir haben etwas voneinander gelernt, obwohl wir wahrscheinlich nie darüber nachgedacht haben, was genau es
war. Wenn ich heute an die Zukunftsvision denke, die wir im Skript zu Respublika niedergeschrieben haben, versuche ich, uns nicht vorzuwerfen, dass wir den Krieg nicht vorhergesehen haben. Dass wir in unserer Zukunftsvision das Erlebnis einer Gruppe in den Mittelpunkt gestellt haben, die Techno spielt, tanzt und andere dazu einlädt, und – selbst wenn die Teilnehmer von Melancholie erfüllt sind – niemand stirbt. Ich weiß nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Ich weiß es genauso nicht, wie ich es vor zwei Jahren nicht wusste. Aber eines weiß ich – solange es uns gibt, werden wir immer lieben und tanzen – selbst in den allerschlimmsten Zeiten.
Aus dem Polnischen von Oliver Chrzanowski