© Vainius Sodeika

Es ist der Beginn der Pandemie, als Łukasz anruft und sagt, dass er meine Hilfe braucht. Ich kenne ihn nicht gut. Wir haben uns einige Male in unserem Leben bei Theaterveranstaltungen gesehen. Jeder kennt jeden in der Theaterwelt, aber nicht immer besonders gut. Wir werden uns bald sehr gut kennenlernen.

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Am 1. März 2019 steigt mein Partner in ein Flugzeug nach Washington. Er soll dort fünf Monate als Stipendiat verbringen. Der Plan ist, dass ich mich ihm im April anschließe. Ich schließe mich nicht an. Der Beginn der Pandemie »erwischt« mich in meinem Heimatdorf, wo ich meine Eltern besuche. Ich bleibe bei ihnen. Ich schreibe einen Roman. Ich rufe meinen Freund an. Ich lese Bücher und Nachrichten. In Zooms erzählt mir Łukasz von einer seltsamen Gruppe, der er angehört. Jeder Tag verläuft gleich.

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Ende März 2020 – der weltweite Lockdown dauert seit mehreren Wochen an. Die Nachrichten aktualisieren fortlaufend die Zahl der Infektionen und Opfer, am tragischsten ist es in Italien. Ich erhalte die Ergebnisse einer Untersuchung, die ich vor der Pandemie habe machen lassen. Ich bin krank. Ich benötige eine Operation. Die Ärztin sagt mir, dass die Krankenhäuser keine anderen Operationen durchführen als solche, die Leben retten. Ich muss warten. Einer meiner Lymphknoten ist geschwollen. Bei einem privaten Arztbesuch bekomme ich ein Antibiotikum. Der öffentliche Gesundheitssektor befasst sich nur noch mit Covid. Die Angst wächst. Ich mache mir Sorgen um meine Gesundheit. Ich mache mir Sorgen ums Geld. Alle Produktionen, die ich geplant hatte, wurden abgesagt. Der Kontakt mit meinem Freund in Washington über Facetime macht mich fertig. Schließlich kehre ich nach Warschau zurück, um mich mit dem Projekt von Łukasz und seiner Gruppe zu befassen. Als ich verreiste, dachte ich, ich würde nach einer Woche zurückkehren. Ich war zwei Monate weg. Die Blumen sind vertrocknet. Jemand hat mir mein Fahrrad aus dem Treppenhaus geklaut. Weiterhin werden Flüge aus Washington wenige Stunden vor dem Abflug gestrichen. Ich bin einsam, fürchte mich. Ich weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll. Die Welt ist seltsam und fremd. Ich habe die Zeiten, in denen ich lebe, nie wirklich gemocht. Jetzt gefallen sie mir noch weniger.

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Łukasz erzählt mir immer mehr von seiner Gruppe. Ernennt sie Respublika. Sie leben in der Nähe von Vilnius und verbringen ihre Tage damit, Raves vorzubereiten und verbringen die Nächte auf diesen Raves. Aus dem, was er sagt, schließe ich, dass dies keine riesigen Raves sind. Ein Dutzend Leute tanzt einfach im Wald, unter ihnen auch Łukasz. Er sagt, sie wollen raus aus dem Wald und anfangen, die Welt zu bereisen. Sie wollen Raves organisieren, aber keine gewöhnlichen Raves. Andere. Solche, die an eine Theatervorstellung erinnern. Oder einen Film. Oder eine Ausstellung. Sie brauchen ein Skript für ihre Auftritte. Jemand, der den gesamten Weg von A bis Z aufschreibt. Ein Drehbuch, das man an verschiedenen Orten wiederholen kann. Wie eine Show. Łukasz schickt mir Aufnahmen vom Aufenthalt der Gruppe im Wald. Mehrere Dutzend Stunden, mehrere Dutzend Gigabytes. Ich bin Schriftstellerin, Textdateien nehmen wenig Platz weg. Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich externe Festplatten, um weitere Aufnahmen darauf zu laden. Ich habe mir nie gerne Aufnahmen von Proben, Improvisationen und Übungen angesehen. Ich breite weitere Puzzles auf dem Boden aus und höre einfach nur zu. Die Leute auf den Aufnahmen sitzen sowieso meistens da und sprechen. Der Ausdruck ihrer Gesichter interessiert mich nicht. Ich höre alles über die Stimme. Die Worte sind kurz und knapp, weil eines der Gruppenmitglieder sie aus dem Litauischen übersetzt. Er ist kein professioneller Übersetzer. Ich vermute, er übersetzt »so ungefähr«, ohne Finesse.

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ICH BEGINNE LANGSAM ZU VERSTEHEN, DASS ES IHNEN UM EIN ANDERES, VIELLEICHT BESSERES MODELL DER WELT GEHT. UND DASS SIE VERSUCHEN, DIESE WELT IN SICH SELBST AUFZUBAUEN, DURCH PRIVATE UND SEHR INTIME ERFAHRUNGEN. JOANNA BEDNARCZYK

In weiteren Zooms gibt mir Łukasz mehr Informationen über die Gruppe. Ich bin unglücklich und habe Angst. Mein Partner sitzt im Ausland fest, und ich versuche mithilfe von Videoschnipseln und Łukasz’ Geschichten zu verstehen, worum es dieser Gruppe von Leuten geht, die im Wald leben und Techno auflegen. Aus Angst und Einsamkeit fange ich an, innerlich alles zu sabotieren, worüber Łukasz spricht, aber ich mache es so, dass er es nicht registriert. Er ist meine einzige Verbindung zur Gruppe. Ich habe den Eindruck, dass er kein guter Link ist. Er ist nicht in der Lage, mir gut zu übermitteln, was ihre Vision ist. Was sie tun und weshalb. Ich stelle ihm viele Fragen, bohre nach, weil ich trotz allem das Gefühl habe, dass ich mich auf eine seltsame Weise zu dieser Gruppe hingezogen fühle, auch wenn seine Erklärungen unklar sind. Vielleicht kommt meine Sabotage daher, dass die Gruppe genau das macht, was ich gerne machen würde, mir aber der Mut fehlt? Also rede ich mir lieber ein, dass sie ein Haufen Freaks sind?

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Ich merke, dass das Wesen der Gruppe empfindsam und nicht leicht zu beschreiben ist. Ich beginne langsam zu verstehen, dass es ihnen um ein anderes, vielleicht besseres Modell der Welt geht. Und dass sie versuchen, diese Welt in sich selbst aufzubauen, durch private und sehr intime Erfahrungen. Sie wollen das System nicht ändern oder gar sprengen. Sie sind keine Anarchisten. Sie verstehen die Utopie nicht als ein allgemeines, politisches System, sondern als eine zarte innere Struktur.

Sie sind sensibel und manchmal übersensibel, aber sie erinnern nicht an Hipster. Eines der Mädchen in den Aufnahmen hat eine rasierte Achsel, aber die Achsel ist nicht steril und trocken. Man sieht auf ihr schwarzen, vom Schweiß zusammengeklebten, Staub.

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Łukasz erzählt mir, dass eine der Ideen, die sie überprüfen, die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist. Es ist ihnen gelungen von irgendeiner kulturellen Einrichtung in Vilnius ein Grundeinkommen von 15 Euro pro Tag an Land zu ziehen – und davon leben sie. 15 Euro. Nicht mehr und nicht weniger. Wie ist das? Bezahlt zu werden, selbst wenn man nicht arbeitet. Keine riesigen Summen, aber immerhin solche, mit denen man überleben kann. Aufhören zu arbeiten, um die Tage damit zu verbringen, nach einer Erfahrung zu suchen, deren Existenz man vermutet, aber wo nicht ganz klar ist, was sie eigentlich ist. Auf der Suche nach etwas, das jenseits aller Vorstellungskraft liegt, weil man es sich nicht vorstellen kann. Es stimmt nicht, dass der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind.

AUF DER SUCHE NACH ETWAS, DAS JENSEITS ALLER VORSTELLUNGSKRAFT LIEGT, WEIL MAN ES SICH NICHT VORSTELLEN KANN. JOANNA BEDNARCZYK

Es gibt sie, aber wir können sie uns nicht vorstellen. Wir können uns nicht vorstellen, wo die Vorstellungskraft endet. Und sie endet eben an diesem Punkt, den wir uns nicht vorstellen können. Doch manchmal können wir die Faktoren aufspüren, die die Vorstellungskraft einschränken und strukturieren. Łukasz und seine Freunde entschieden sich für den Kapitalismus und setzten seine Prinzipien für eine Weile außer Kraft. Sie hörten auf zu arbeiten und begannen zu tanzen, in der Hoffnung, dass sich etwas in ihrem Bewusstsein erweitern würde. Dass ihr Verstand die vertrauten Grenzen der Erkenntnis überschreitet.

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Ich weiß, dass ich ohne etwas Lektüre kein Drehbuch für die Gruppe schreiben kann. Ich lese Harari, Hobbes und Meillassoux. Die Pandemie entspannt sich ein wenig und die Ärztin legt einen Termin für den Eingriff fest. Flüge aus Washington sind weiterhin ausgesetzt. Ich gehe allein ins Krankenhaus. Meinen Kindle mit Hope in the Dark von Solnit nehme ich mit. Was für ein Paradox – seit vielen Wochen arbeite ich von morgens bis abends an einem Drehbuch über eine Gruppe, die überhaupt nicht gearbeitet hat. Während ich die Ideen zur neuen Sensibilität, zum Feingefühl gegenüber sich selbst, zum Untergraben der kapitalistischen Indikatoren von Erfolg verinnerliche, schalte ich, eine halbe Stunde nachdem ich aus meiner Narkose aufwache, meinen Kindle an. Die Buchstaben springen vor meinen Augen hin und her, aber ich gebe nicht auf. Ich lese weiter. Nach zwei Stunden erscheint die Aufschrift »book completed«. Ich gehe zu den Krankenschwestern und erkläre, dass ich nun entlassen werden kann. Sie schlagen vor, dass ich noch ein paar Stunden bleiben solle, aber ich bestehe darauf, dass sie mich gehen lassen. Ich sage, es ginge mir gut, obwohl mir immer noch schwindelig ist.

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Nichts, worüber Łukasz mir erzählt und was ich selbst schlussfolgere, während ich die Geschichte der Gruppe kennenlerne, überzeugt mich. Vielleicht bin ich eine Pessimistin, vielleicht hochnäsig und halte den Rest der Menschheit für dümmer als mich. Ich glaube nicht, dass die Erfahrung, die die Gruppe sucht und versucht, mithilfe eines Drehbuchs einzuprogrammieren, etwas Besonderes und Schönes sei. Es riecht ein bisschen nach New Age, ein bisschen nach 68ern, jedenfalls nach nichts Frischem. Ich lese philosophische Bücher über die Technokultur. Über in Trance verbundene Körper. Über die Energie des Beats, der die Grenzen des Kapitalismus ausdehnt. Ich habe den Eindruck, dass diese Bücher von einem Algorithmus geschrieben wurden, der seinen Satzbau mit Subjekt und Prädikat aus Büchern von Foucault, Deleuze und Lacan erlernt hat. Dieses Doppel-Gemoppel, das ich in großen Mengen aufnehme, denn Weichheit, Feingefühl und es mir herauszunehmen, nur dann zu arbeiten, wenn ich Lust dazu habe, empfinde ich als Schwäche. Ich versuche diese tanzenden Menschen zu beschreiben, die an die Magie der Gemeinschaft und die multidirektionale Liebe glauben, während ich allein in einer Einzimmerwohnung sitze und mir ein Regime auferlege: jeden Tag ein Dutzend Seiten des Skripts zu schreiben. Ich fühle mich wie ein Elefant, der versucht, durch einen Porzellanladen zu gehen – ohne eine einzige Tasse zu zerschlagen.

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Wir beschließen mit Łukasz, dass wir die Gruppe so beschreiben, als ob es sie schon seit Jahrzehnten gäbe, was bedeutet, dass ich mich in meiner Vorstellung in die Zukunft bewegen muss. Ich habe Angst, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin. Dass meine Vorstellungskraft sich als recht schwach herausstellt. Dass ich keine Zukunft für eine Gruppe erfinden werde, die ich noch nicht einmal in der Gegenwart kenne. Ich habe Angst vor Klischees. Die Popkultur kennt viele Zukunftsvisionen. Zum Beispiel überall Wüste. Ich will nicht, dass diese Visionen in mein Skript einsickern. Lange weiß ich nicht, was mir noch einfallen könnte. Ich schlage Łukasz vor, dass die Welt, über die wir erzählen, frei von Tieren ist. Sie sind alle ausgestorben. Und manche Teile des menschlichen Bewusstseins lassen sich mithilfe von Pharmakologie sehr gezielt ausschalten. Der Körper schmerzt, aber das Gehirn weiß es nicht. Die Arme und Beine bewegen sich seit 72 Stunden, aber ihr Besitzer fühlt keine Müdigkeit. Ich weiß nicht, ob das originell ist, aber im Moment ist mir das egal. Ich fühle mich von der Gruppe betrogen. Sie predigen Liebe und Zärtlichkeit, aber keiner von ihnen hat mich zu sich eingeladen. Sie warten auf das Drehbuch. Wenn es in Ordnung ist, dann werde ich mich ihnen anschließen können.

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WENN WIR TANZEN, ATMET DANN IN UNSEREN MUSKELN DIE ERINNERUNG VON ANDEREN TANZENDEN KÖRPERN? JOANNA BEDNARCZYK

Es gibt eine Szene im Skript, die entstand, als ich der Gruppe im August 2020 beitrat. Die Gruppenmitglieder blicken auf ihr Ich aus der Vergangenheit zurück. Die aus der Vergangenheit sind wie die Amische gekleidet. Sie machen dieselben Gesten wie jene aus der Gegenwart. Sie sprechen dieselben Sätze, als würde ein Echo zwischen den beiden Zeitperspektiven hin und her pendeln. Bei diesem Treffen haben wir versucht, die Träger des Fortbestehens zu finden. Hinterlassen Wesen, die im Laufe der Zeit durch andere Wesen ersetzt werden, Spuren im Universum? Wenn dem so ist, dann wie? In der Sprache? Im Unbewusstsein? In den Genen? In der Erinnerung? Wenn wir tanzen, atmet dann in unseren Muskeln die Erinnerung von anderen tanzenden Körpern?

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Die Mitglieder der Gruppe habe ich seit 1,5 Jahren nicht mehr gesehen. Seit unserem letzten gemeinsamen Tanz habe ich viele Male getanzt. An anderen Orten, mit anderen Menschen. Ich bin Atheistin, ich glaube nicht an Gott. Oft fällt es mir deshalb sehr schwer, besonders jetzt. Seit Tagen wache ich auf und denke mir: Ja, du lebst noch. Ich frage mich, ob etwas von mir irgendwo bleiben wird, wenn ich sterbe?
Es geht mir nicht um materielle Dinge. Ich denke vielmehr an die Kontinuität bestimmter Bewegungen, intellektueller Prozesse, an private Philosophie. Ich schätze, ich werde einfach mit meinem Tod verschwinden, das war es dann. Aber ich weiß, dass bestimmte Emotionen und Gefühle, die ich erlebe, in genau der gleichen Gestalt in einer anderen Person erscheinen werden. Eine dieser emotionalen Konstellationen, die ich spüre – und dessen bin ich mir sicher –, die in Zukunft jemand nachspüren wird, ist das Gefühl, das mich erfüllt, wenn ich mit anderen Menschen in irgendeinem Raum tanze.

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Während ich diesen Text schreibe, reiße ich mich immer wieder vom geöffneten Fenster meines Schreibprogramms los und schaue auf die Nachrichten. Es ist Anfang März 2022. Seit einer Woche ist Krieg in der Ukraine.

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Bis 2020 hatte ich nie Angststörungen. Oder ich wusste nicht, dass ich daran litt, weil ich ständig in Bewegung war und es keine Gelegenheit gab, die Angst zu spüren, die mich vielleicht manchmal erfüllte. Als die Pandemie begann und die Tage leer wurden, hatte die Angst endlich genug Raum und Zeit. Hey, ich bin hier, lernen wir uns kennen. Ich hasse sie. Ich bevorzuge gewöhnliche Angst. Sie dauert nicht so lange und man weiß, woher sie kommt.

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Bewegung ist gut gegen Angst. Wenn du in Bewegung bist, hat Angst keinen Platz. Deshalb sind die Clubs am Wochenende voller tanzender Menschen und an Wochentagen rennen die Leute zum Bus, als ob der nächste nicht in fünf Minuten käme.

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In der Pandemie stellte sich heraus, dass die Einzimmerwohnung, in der ich mit meinem Partner lebte, für uns nicht ausreichte. Wir nahmen all unser Geld zusammen und kauften eine Wohnung. Ein Jahr lang haben wir sie renoviert. In Polen ist die Renovierung ein traumatischer Prozess. Ich habe zwei harte Jahre hinter mir und noch schlimmere Jahre vor mir. Die Angst ist überwältigend. Ich laufe in meiner neuen Wohnung umher und bleibe hin und wieder hängen. Ich stehe still und reglos da. Ab und zu schaue ich aus dem Fenster und beobachte das Gebäude der polnischen Spionageabwehr. Meine Wohnung befindet sich in einem Altbau, der von Regierungsgebäuden des Militärs umgeben ist. Ich stelle mir vor, dass ich eines Tages nicht aufwache und es nicht einmal merke – meine Nachbarn auch nicht.

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Als Anfang 2020 in den Medien geschrieben stand, dass die Pandemie bis zu zwei Jahre andauern könne, habe ich gesagt: Das ist unmöglich. Als mich mein Vater vor drei Wochen fragte, ob ich glaube, dass es einen Krieg geben wird, sagte ich: ein gewöhnlichen nicht, vielleicht einen hybriden.

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Ich habe den Wissenschaftlern immer geglaubt, die die Menschheit vor der Klimakatastrophe gewarnt haben. Bis vor kurzem hatte ich jedoch gehofft, dass sie nicht so schlimm werden wird, wie angekündigt. Jetzt bin ich überzeugt, dass sie sogar noch schlimmer werden wird. Und dass sie eintreten wird, bevor wir dafür bereit sind.

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Ich weiß, dass Ereignisse wie Respublika bewirken, dass man die Welt anders sieht und wahrnimmt. Ich habe es selbst erlebt. Ich weiß, dass die Gemeinschaft, die bei solchen Veranstaltungen entsteht, absolut real ist. Sie ist auch von kurzer Dauer. Über viele Stunden, Wochen und Monate ist man mit jemandem zusammen, mit dem man ein Gefühl der Begeisterung teilt, und dann kommt die unvermeidliche Trennung.

Ich weiß, dass Ereignisse wie Respublika bewirken, dass man die Welt anders sieht und wahrnimmt. Ich habe es selbst erlebt.

Ich glaube jedoch daran, dass sich der Körper und das Gehirn an vieles erinnern. Die Rezeptoren speichern Erinnerungen an all das, was stark genug war, um in ihnen eingeschrieben zu werden. Respublika ist für viele Menschen eine solche Erfahrung. Die Erfahrung von Offenheit, Freiheit, Befreiung und Gemeinschaft, die bei Respublika-Teilnehmern entsteht, ist ein Schatz, den man in sich bewahren kann. Wird sich die Welt dadurch verändern? Nein. Wird sich der einzelne Mensch dadurch verändern? Wahrscheinlich nicht. Geht es unbedingt um die Veränderung? Vielleicht nicht. Reicht der Versuch der Veränderung, um zu fühlen, dass man alles Mögliche dafür getan hat? Nein. Ist der Versuch das Einzige, was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt? Ich glaube schon. Ist das eine triviale Schlussfolgerung? Ja. Aber genau an diesem Punkt endet meine Vorstellungskraft.

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Respublika war der Versuch, sich die Zukunft vorzustellen. Die Mitglieder der Gruppe leben in einer Welt ohne Tiere. Der Kapitalismus ist zusammengebrochen. Facebook und Ryanair gibt es nicht mehr. Die Gruppe hat ihre eigene Infrastruktur dabei – Musikausrüstung und Attrappen von Wohnräumen, in denen sie vor vielen Jahrzehnten gelebt haben. In dieser behelfsmäßigen, nomadischen Welt tauchen sie in Musik ein. Was suchen sie in ihr? Wahrscheinlich viele Dinge. Oder vielleicht nichts. Die Zukunftsvision, die Łukasz und ich entwickelt haben, ist melancholisch und traurig, aber nicht ohne Liebe. Heute, fast zwei Jahre nach ihrer Entstehung, erscheint sie mir fast unangemessen empfindlich, vielleicht sogar peinlich. Während ich diesen Text schreibe, wird mir klar, dass diese Vision von Anfang an durch die Zusammenarbeit zweier völlig unterschiedlicher Köpfe, Charaktere und Temperamente geprägt war. Mein Gesicht ist wie Sandstein. Ab und zu bewegt sich etwas darin, wie Sandkörner bei einem leichten Windstoß auf einem Stein. Łukasz’ Gesicht ist wie eine Handtasche, aus der in einer Sekunde alles herausquillt: Lächeln, Zähne, Französisch, Polnisch, Englisch, Russisch. Und kleiner Rauch vom Iqos. Meine Skepsis und seine Hoffnung. Wir haben etwas voneinander gelernt, obwohl wir wahrscheinlich nie darüber nachgedacht haben, was genau es
war. Wenn ich heute an die Zukunftsvision denke, die wir im Skript zu Respublika niedergeschrieben haben, versuche ich, uns nicht vorzuwerfen, dass wir den Krieg nicht vorhergesehen haben. Dass wir in unserer Zukunftsvision das Erlebnis einer Gruppe in den Mittelpunkt gestellt haben, die Techno spielt, tanzt und andere dazu einlädt, und – selbst wenn die Teilnehmer von Melancholie erfüllt sind – niemand stirbt. Ich weiß nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Ich weiß es genauso nicht, wie ich es vor zwei Jahren nicht wusste. Aber eines weiß ich – solange es uns gibt, werden wir immer lieben und tanzen – selbst in den allerschlimmsten Zeiten.

Aus dem Polnischen von Oliver Chrzanowski

JOANNA BEDNARCZYK, Dramaturgin und Autorin, studierte in Krakau Psychologie und russische Philologie. Außerdem absolvierte Sie die Fakultät für Theaterregie an der Akademie der Theaterkünste in Krakau.