Joke: Und doch müssen Erwachsene und Kinder ein Gleichgewicht in der Schwerkraft finden. »Kippen« ist ein wesentliches Wort im Vokabular von promise me, ein Wort, das die Bewegungssprache stark beeinflusst hat. Aber es ist nicht so, dass man die Tänzer:innen buchstäblich kippen sieht. Es deutet vielmehr auf eine Absicht hin. Im Sinne von: sich trauen, in der Mitte von Dingen zu stehen. Nicht auszuweichen, nicht zu fliehen, sondern die Mittellinie beschreiten. Taumelnd, kippend, auf die Gefahr hin, das Gleichgewicht zu verlieren. Die Vielschichtigkeit der Dinge erkennen. Es ist eine Kraft, auf dieser Mittellinie zu sein, in dieser immer kippenden Zwischenzone. Bei promise me geht es darum, Risiken einzugehen und Gewissheiten loszulassen, so haben wir es in Worte gefasst. Auf dem Papier klingt das hohl; in Wirklichkeit verweisen diese Sätze auf eine Haltung, eine Art, im Leben zu stehen, wofür du stark sein musst. Unser Motto für diese Leistung lautet: Stell Risiko über Stabilität. Neugierde über Angst. Zusammengehörigkeit über Selbsterhalt.
Kwint: Wir improvisierten während einer Probe zu dem Slogan »Ich habe es noch nie getan, aber ich denke schon, dass ich es kann«. Dieser Satz führte in der Gruppe eine Denkweise ein, die für den gesamten Entstehungsprozess des Stücks entscheidend war. Es ist ein praktischer Satz, der den Kindern geholfen hat, die richtige Intention zu finden, mit der sie in die Aufführungen gehen. Der sie inspirierte, Bilder und Bewegungen zu kreieren. Wir sind weit entfernt von philosophischen Diskursen in den Proben. Wir sprechen mit den Kindern kaum über die Themen, sondern übersetzen sie in Aufgaben, bei denen sie die Dinge rein körperlich erleben und verinnerlichen. Sie nähern sich allmählich den Themen, indem sie sie in ihren Körpern spüren, indem sie sie tanzen.
Wir bemühen uns, unsere gesamte Arbeit in dieser Grauzone anzusiedeln. Ist es für ein junges Publikum? Ist es Tanz oder Theater? Ist es schön oder ist es grauenvoll? Ist ein zehnjähriger Körper, der tanzt, authentisch oder manipuliert? In unseren Augen sind das nicht die relevanten Fragen. Wir geben sie gerne zurück.
promise me – versprich mir: Darin höre ich eine Forderung.
Joke: Es handelt sich in der Tat um einen Appell. Ein Schrei nach ... Wonach genau, lässt sich nicht direkt in Worte fassen. Ich liebe das Bild einer Hand, die das Kinn eines:einer anderen ergreift, um buchstäblich seine: ihre Blickrichtung zu bestimmen, und um Aufmerksamkeit bittet. In dieser Geste steckt nicht nur eine Frage an die:den andere:n; es ist auch eine Geste des Vertrauens, weil du nicht einfach so jemandem ins Gesicht fasst.
Das ist wieder eine doppelte Forderung. »Gib mir so viel Vertrauen und Sicherheit, dass ich mich völlig frei fühlen kann.« Ich denke, die Welt braucht das wirklich, Menschen, die aus eigener Kraft stehen dürfen und können. Und ihre Stärke nicht aus einer vermeintlichen Identität beziehen, aus der Gruppe, der sie angehören, aus einer Dynamik des Wir/Sie. Wenn du dich von dieser Art des Denkens befreist, findest du vielleicht zu einer Vitalität zurück, die hoffentlich ansteckend wirkt. Seit eineinhalb Jahren bereiten wir auch ein zukünftiges Projekt mit palästinensischen Tänzer:innen und Kindern vor. Bewohner:innen des Westjordanlands und des Gazastreifens. Auch dieses Projekt hat sich in unsere Proben geschlichen. promise me hat einen Unterton von Resilienz und Resistenz. Gib dich nicht mit dem zufrieden, was dir vorgesetzt wird, und übernimm die Verantwortung für das, was du tust.
Eure Arbeit ist stets von der bildenden Kunst inspiriert. Gibt es Werke von Künstler:innen, die euch zu promise me angeregt haben?
Kwint: Michaël Borremans’ Serie Fire from the Sun. Kleine Kinder, die sich gegenseitig mit Blut beschmieren. Auf dem Boden liegen menschliche Einzelteile. Was uns ins Auge fiel, war nicht der Schrecken dieser Szenen, sondern die Neugier der Kinder auf ihre eigenen Körper und die der anderen. Sehr animalisch. Daneben die Gemälde von Caravaggio, die Grauen und Schönheit vereinen.
Es gibt den Film Buddha Collapsed Out of Shame der iranischen Filmemacherin Hana Makhmalbaf, gedreht in dem afghanischen Dorf, wo die historischen Buddhastatuen, die in den Fels gehauen waren, von den Taliban gesprengt wurden. Der Film zeigt die Willenskraft eines Mädchens, Lesen zu lernen. Uns inspirierte die Art und Weise, wie die Filmemacherin diese Willenskraft in Bildern dargestellt hat. Wie dieses Mädchen Kriegstraumata verarbeitet und überwindet. Ihr Lebenswille und ihre Verachtung für den Tod. Der Film endet mit spielenden Kindern, die sich sozusagen unter Beschuss halten. »Die, and you will be free«, ruft ein Junge. Ein Satz, mit dem er eine Spielregel bestätigt: Wenn du hinfällst, kannst du weiterspielen. Es ist ein Spiel, mehr nicht, aber diese paradoxen Worte können auch so übersetzt werden: Wenn du nicht loslässt, wovor du Angst hast, kommst du keinen Meter weiter.
Joke: Da ist wieder die Ode an meine Narben, in der der Autor den Dichter Kahlil Gibran zitiert: »Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.«
Auch das ist eine Dualität, mit der alle Eltern und die gesamte Gesellschaft zurechtkommen müssen. Und schließlich ist da ein Zitat des schottischen Dichters John Glenday in einem Buch über die Arbeit der amerikanischen Fotografin Sally Mann: »You see it’s neither pride nor gravity, but love that pulls us back down to the world.« Die Schwerkraft ist bei einem Tanzstück sehr entscheidend, und wenn man hochgehoben wird, kann man sich »wie ein Astronaut in einer Raumkapsel« bewegen – so hat es Zélie in Worte gefasst. Sie war es auch, die behauptete, dass es in promise me um Liebe geht ...
Aus dem Niederländischen von Golbarg Zolfaghari
Die Choreografin JOKE LAUREYNS hat Philosophie studiert. Der Tänzer und Choreograf KWINT MANSHOVEN studierte Design. Gemeinsam gründeten sie die Gruppe kabinet k in Gent (Belgien), mit der sie seit über 20 Jahren Tanztheaterstücke kreieren, in denen professionelle Tänzer:innen und Kinder zusammen auf der Bühne stehen.