© Kurt van der Elst

Ein Gespräch mit Joke Laureyns und Kwint Manshoven, den Gründer:innen der Tanzkompanie kabinet k und Choreograf:innen von promise me geführt von der Dramaturgin Mieke Versyp

Kwint: promise me entstand als Idee während der Workshops, die wir im Sommer 2020 organisierten. Mit still playing but different wollten wir die Kinder unserer früheren Kreation as long as we are playing nach einer langen Zeit der erzwungenen Untätigkeit wieder zusammenbringen. Zwei Wochen Improvisationen mit einem Team, das wir sehr gut kannten. Ohne auf eine Vorstellung hinzuarbeiten, ohne ein konkretes Ziel.

Joke: Was uns bei still playing auffiel, war eine große Intimität und körperliche Hingabe. Ein Verlangen, Grenzen zu verschieben. Die wilde Begeisterung, mit der sich die Kinder in die »Arena« stürzten, die Anspannung in ihren Körpern – das fanden wir schön und inspirierend.

Kwint: Aber die Thematik von promise me schlummerte schon seit Längerem in unseren Köpfen. Wir dachten an die Wörter »kippen«, »schwenken«, »verdrehen«. Vielleicht ein Ausdruck unseres Eifers, neu anzufangen, des Drangs, uns hineinzustürzen. Das war der Geist bei still playing.

In unserer Arbeit geht es immer darum, was es heißt, ein Mensch zu sein, und zwar in all seinen Facetten. Joke Laureyns

Joke: Dieser Eifer und Drang sind in unserer Arbeit eigentlich immer präsent. Genau wie gegenseitiges Vertrauen und Freiheit. In unserer Arbeit geht es immer darum, was es heißt, ein Mensch zu sein, und zwar in all seinen Facetten. Mit jeder Kreation beleuchten wir eine andere Facette. Für promise me hatten wir endlich die Zeit, uns in einen bestimmten Aspekt zu vertiefen: mit einer wachen, aufmerksamen Neugier, Offenheit, völligen Hingabe ins »Wir, Hier und Jetzt«.

Kwint: Es ist eine Antwort auf die Zeichen der Zeit. Diese Zeiten sind durchdrungen von Angst, Vorsicht, dem Wunsch nach Sicherheit. Das fragt nach einer Gegenstimme. Das Verlangen entsteht, einen Zufluchtsort anzubieten, an dem man sich diesen Tendenzen entgegenstellen kann. Die Bühne ist ein perfektes Biotop, wo man diese Freiheit in Anspruch nehmen und zeigen kann.

Ist promise me eine neue Etappe in eurem Schaffen?

Joke: Ich sehe eine Entwicklung in der Art und Weise, wie und in welchem Kontext dieses Stück entstanden ist. Die Tatsache, dass wir mit drei Kindern aus der Besetzung von as long as we are playing plus Kwint als Tänzer und erneut mit Thomas Devos als Musiker gearbeitet haben, bedeutet, dass fünf Menschen auf der Bühne stehen, die von Anfang an mit unserer Sprache vertraut waren. Zélie kannten wir aus les ateliers C de la B (Anm. d. Red.: einer Workshopreihe der Tanzkompanie les Ballets C de la B mit kabinet k); ihre Schwester Téa und der Tänzer Ido Batash sind neu. Die Vertrautheit eines großen Teils des Casts mit unserer Arbeit führte dazu, dass wir bei den Improvisationen schneller als sonst auf den Punkt bringen konnten, was wir mit promise me vermitteln wollen. Wir konnten die Stärken des angebotenen Tanzmaterials entdecken. Die Körper der Performer:innen fanden leicht in die Tanzsprache, die uns vorschwebte. Die Kinder waren wirklich Mitautor:innen in diesem Prozess, und das ist einzigartig. Ich sehe es als eine Vertiefung in unserer Arbeitsweise. Ich weiß nicht, auf welcher Ebene das in der Aufführung sichtbar sein wird, aber das Tanzmaterial hat sich auf eine sehr organische Weise zusammengefügt.

Diese Zeiten sind durchdrungen von Angst, Vorsicht, dem Wunsch nach Sicherheit. Das fragt nach einer Gegenstimme. Kwint Manshoven

In all euren Auftritten schafft ihr eine Utopie als Reaktion auf die reale Welt. Ihr nennt es oft einen Freiraum. Einen Ort des Vertrauens.

Joke: Ja. Utopisch und idealistisch, aber auch eine Gegenstimme, ein Kontrapunkt. Wir streben natürlich nach dem Ideal der bestmöglichen Aufführung. Wir suchen eine radikale Ehrlichkeit, wenn es um die Vielschichtigkeit des Menschseins geht. Nicht, dass wir die Dinge rosiger machen wollen. Im Gegenteil. Harmonie steht bei dieser Aufführung nicht auf der Tagesordnung.

Kwint: Sicherlich nicht in promise me, wo es oft rau und roh zugeht. Es herrscht eine brutale Intimität. Weniger weich und vielschichtiger als bei horses. Denn wir beleuchten eine andere, gefährlichere Seite menschlicher Beziehungen.

WIR SUCHEN EINE RADIKALE EHRLICHKEIT, WENN ES UM DIE VIELSCHICHTIGKEIT DES MENSCHSEINS GEHT […] HARMONIE STEHT BEI DIESER AUFFÜHRUNG NICHT AUF DER TAGESORDNUNG. Joke Laureyns

Joke: Das erste Wort, mit dem wir bei diesem Stück hantierten, war »rücksichtslos«. Aber das deckt nicht alles ab. Deshalb war ich so froh, als wir auf den Text Ode an meine Narben des flämischen Autors David Van Reybrouck stießen. Er schreibt:
»Nein, das ist nicht das richtige Wort, rücksichtslos. Was aber dann? Begeisterung, Glühen. Ja, man muss mit seinem Leib haushalten, aber deshalb muss man doch nicht mit dem Leben sparsam sein?« Das ist es für mich.

»Sieben Tänzer:innen schließen einen Pakt« lautet eine Zeile auf dem Produktionsflyer. Was ist das für ein Pakt?

Joke: Die Beziehung zwischen den Tänzer:innen entwickelte sich im Laufe des kreativen Prozesses zu einem absoluten Vertrauensverhältnis. Du schenkst Vertrauen und du bekommst es zurück. Das bewirkt, dass alle einander so gut kennen, dass alle Grenzen aufgehoben sind, jede Zurückhaltung verschwindet. Solch einen Pakt wollen wir als Macher:innen immer initiieren. Oft »greift« ein solcher Pakt, und das war sicherlich bei den Darsteller:innen von promise me der Fall, aber das geschieht nicht immer. Das kannst du nicht erzwingen. Dieser Pakt des Vertrauens ist wie ein Grundton. Über Kwint sagen die Kinder beispielsweise: »Wir kennen deine Hände.« Das ist die physische Übersetzung dieses Vertrauens. Es ist die Basis, von der aus man den Grad der Hingabe, des Kümmerns, der Intimität und der Stärke eines:einer jeden ablesen kann. Wenn man sich ein Duett zwischen Kwint und Ilena, Lili und Zélie oder Juliette und Ido anschaut, dann sieht man stets sowohl die spezifische Dynamik zwischen zwei Tänzer:innen als auch die individuellen Eigenheiten jedes:jeder Tanzenden. Man kann sehen, was sie ineinander erwecken, und ihre Charaktere lesen durch die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen. Diese immerwährende Synergie generiert wunderschöne Bilder. Das ist reich. Nicht eindeutig.

Kwint: In dem gegenseitigen Vertrauen zwischen diesen sieben Menschen auf der Bühne schlummert eine Dualität. Eine Vielschichtigkeit. Und das Medium Tanz eignet sich hervorragend, das sichtbar zu machen.

Der Ausdruck »Dualität« taucht oft auf, wenn es um eure Arbeit geht. Könnt ihr diesen Begriff erklären?

Joke: Alles hat eine Kehrseite – das ist eine Tatsache. Neben dem Wort »Lebensdrang«, das während des Entstehungsprozesses auftauchte, fiel auch das Wort »Todesverachtung«. Dem Tod die Zunge herausstrecken. Hinter dieser kindlichen Geste verbirgt sich eine tiefe Wahrheit. Jede:r erkennt die Endlichkeit, die Schwere, die Schwärze, die B-Seite des Lebens. Aber man kann sich auf unterschiedliche Weise darauf beziehen. Diese Tatsache kann dir Kraft geben und dich verwundbar machen. Gleichzeitig. Es ist kein Entweder-oder. Nicht schwarz-weiß. Sehr oft suchen die Menschen nach einer vorgefertigten Antwort. Die Menschen fordern Klarheit. Es ist so und nicht anders. Und dann entstehen Lager, Polemik, Slogans, Polarisierung, Identitätsschwierigkeiten. Während es nur Nuancen gibt. In der Realität und auch in einem Körper.

Kwint: Es gibt die großen, trainierten Körper der erwachsenen Tänzer:innen und die kleineren, untrainierten Körper der Kinder. Dies ist an sich schon eine duale Gegebenheit. Erwachsene und Kinder können dieselbe Bewegung mit derselben Absicht ausführen und doch sind sie anders. Und für die Tänzer:innen fühlt es sich auch anders an.

Dieser Pakt des Vertrauens ist wie ein Grundton. Joke Laureyns

Joke: Und doch müssen Erwachsene und Kinder ein Gleichgewicht in der Schwerkraft finden. »Kippen« ist ein wesentliches Wort im Vokabular von promise me, ein Wort, das die Bewegungssprache stark beeinflusst hat. Aber es ist nicht so, dass man die Tänzer:innen buchstäblich kippen sieht. Es deutet vielmehr auf eine Absicht hin. Im Sinne von: sich trauen, in der Mitte von Dingen zu stehen. Nicht auszuweichen, nicht zu fliehen, sondern die Mittellinie beschreiten. Taumelnd, kippend, auf die Gefahr hin, das Gleichgewicht zu verlieren. Die Vielschichtigkeit der Dinge erkennen. Es ist eine Kraft, auf dieser Mittellinie zu sein, in dieser immer kippenden Zwischenzone. Bei promise me geht es darum, Risiken einzugehen und Gewissheiten loszulassen, so haben wir es in Worte gefasst. Auf dem Papier klingt das hohl; in Wirklichkeit verweisen diese Sätze auf eine Haltung, eine Art, im Leben zu stehen, wofür du stark sein musst. Unser Motto für diese Leistung lautet: Stell Risiko über Stabilität. Neugierde über Angst. Zusammengehörigkeit über Selbsterhalt.

Kwint: Wir improvisierten während einer Probe zu dem Slogan »Ich habe es noch nie getan, aber ich denke schon, dass ich es kann«. Dieser Satz führte in der Gruppe eine Denkweise ein, die für den gesamten Entstehungsprozess des Stücks entscheidend war. Es ist ein praktischer Satz, der den Kindern geholfen hat, die richtige Intention zu finden, mit der sie in die Aufführungen gehen. Der sie inspirierte, Bilder und Bewegungen zu kreieren. Wir sind weit entfernt von philosophischen Diskursen in den Proben. Wir sprechen mit den Kindern kaum über die Themen, sondern übersetzen sie in Aufgaben, bei denen sie die Dinge rein körperlich erleben und verinnerlichen. Sie nähern sich allmählich den Themen, indem sie sie in ihren Körpern spüren, indem sie sie tanzen.
Wir bemühen uns, unsere gesamte Arbeit in dieser Grauzone anzusiedeln. Ist es für ein junges Publikum? Ist es Tanz oder Theater? Ist es schön oder ist es grauenvoll? Ist ein zehnjähriger Körper, der tanzt, authentisch oder manipuliert? In unseren Augen sind das nicht die relevanten Fragen. Wir geben sie gerne zurück.

promise me – versprich mir: Darin höre ich eine Forderung.

Joke: Es handelt sich in der Tat um einen Appell. Ein Schrei nach ... Wonach genau, lässt sich nicht direkt in Worte fassen. Ich liebe das Bild einer Hand, die das Kinn eines:einer anderen ergreift, um buchstäblich seine: ihre Blickrichtung zu bestimmen, und um Aufmerksamkeit bittet. In dieser Geste steckt nicht nur eine Frage an die:den andere:n; es ist auch eine Geste des Vertrauens, weil du nicht einfach so jemandem ins Gesicht fasst.
Das ist wieder eine doppelte Forderung. »Gib mir so viel Vertrauen und Sicherheit, dass ich mich völlig frei fühlen kann.« Ich denke, die Welt braucht das wirklich, Menschen, die aus eigener Kraft stehen dürfen und können. Und ihre Stärke nicht aus einer vermeintlichen Identität beziehen, aus der Gruppe, der sie angehören, aus einer Dynamik des Wir/Sie. Wenn du dich von dieser Art des Denkens befreist, findest du vielleicht zu einer Vitalität zurück, die hoffentlich ansteckend wirkt. Seit eineinhalb Jahren bereiten wir auch ein zukünftiges Projekt mit palästinensischen Tänzer:innen und Kindern vor. Bewohner:innen des Westjordanlands und des Gazastreifens. Auch dieses Projekt hat sich in unsere Proben geschlichen. promise me hat einen Unterton von Resilienz und Resistenz. Gib dich nicht mit dem zufrieden, was dir vorgesetzt wird, und übernimm die Verantwortung für das, was du tust.

Eure Arbeit ist stets von der bildenden Kunst inspiriert. Gibt es Werke von Künstler:innen, die euch zu promise me angeregt haben?

Kwint: Michaël Borremans’ Serie Fire from the Sun. Kleine Kinder, die sich gegenseitig mit Blut beschmieren. Auf dem Boden liegen menschliche Einzelteile. Was uns ins Auge fiel, war nicht der Schrecken dieser Szenen, sondern die Neugier der Kinder auf ihre eigenen Körper und die der anderen. Sehr animalisch. Daneben die Gemälde von Caravaggio, die Grauen und Schönheit vereinen.
Es gibt den Film Buddha Collapsed Out of Shame der iranischen Filmemacherin Hana Makhmalbaf, gedreht in dem afghanischen Dorf, wo die historischen Buddhastatuen, die in den Fels gehauen waren, von den Taliban gesprengt wurden. Der Film zeigt die Willenskraft eines Mädchens, Lesen zu lernen. Uns inspirierte die Art und Weise, wie die Filmemacherin diese Willenskraft in Bildern dargestellt hat. Wie dieses Mädchen Kriegstraumata verarbeitet und überwindet. Ihr Lebenswille und ihre Verachtung für den Tod. Der Film endet mit spielenden Kindern, die sich sozusagen unter Beschuss halten. »Die, and you will be free«, ruft ein Junge. Ein Satz, mit dem er eine Spielregel bestätigt: Wenn du hinfällst, kannst du weiterspielen. Es ist ein Spiel, mehr nicht, aber diese paradoxen Worte können auch so übersetzt werden: Wenn du nicht loslässt, wovor du Angst hast, kommst du keinen Meter weiter.

Joke: Da ist wieder die Ode an meine Narben, in der der Autor den Dichter Kahlil Gibran zitiert: »Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.«
Auch das ist eine Dualität, mit der alle Eltern und die gesamte Gesellschaft zurechtkommen müssen. Und schließlich ist da ein Zitat des schottischen Dichters John Glenday in einem Buch über die Arbeit der amerikanischen Fotografin Sally Mann: »You see it’s neither pride nor gravity, but love that pulls us back down to the world.« Die Schwerkraft ist bei einem Tanzstück sehr entscheidend, und wenn man hochgehoben wird, kann man sich »wie ein Astronaut in einer Raumkapsel« bewegen – so hat es Zélie in Worte gefasst. Sie war es auch, die behauptete, dass es in promise me um Liebe geht ...

Aus dem Niederländischen von Golbarg Zolfaghari

Die Choreografin JOKE LAUREYNS hat Philosophie studiert. Der Tänzer und Choreograf KWINT MANSHOVEN studierte Design. Gemeinsam gründeten sie die Gruppe kabinet k in Gent (Belgien), mit der sie seit über 20 Jahren Tanztheaterstücke kreieren, in denen professionelle Tänzer:innen und Kinder zusammen auf der Bühne stehen.