»Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es«, schreibt Simone de Beauvoir – und dieses Wesen wird von der »Gesamtheit der Zivilisation gestaltet«. Daraus folgere ich, dass Männer ebenso in Geschlechternormen gefangen und selbst Opfer des verdammten Strebens nach mythischen männlichen Gewissheiten sind. In letzter Zeit habe ich überlegt, ob ich jemals eine Ode an die Männlichkeit verfassen würde. Doch wo Cock, Cock... Who’s There? das Frausein feiert und darauf besteht, sich nicht dafür zu entschuldigen, wäre ein solcher Ansatz in Bezug auf Männlichkeit skrupellos und unverschämt, weil diese voller toxischer Fallen ist. Egal wie sehr du hoffst, ein besserer Mann zu sein, du wirst in einige dieser Fallen treten. Und obwohl Seek Bromance in Teilen erkundet, was für eine Art von Mann jede:r von uns sein möchte, erkennen wir am Ende, dass bereits dem Streben nach Männlichkeit das Scheitern innewohnt.
Nicht nur weil »traditionelle« männliche Eigenschaften mit Aggression, Frauenfeindlichkeit usw. verknüpft sind oder weil es der Männlichkeit an guten Vorbildern fehlt, sondern weil die Gesellschaft mir zeigt, dass Männlichkeit ein unerfüllbares Ideal ist, eine Halluzination von Befehl und Kontrolle und eine Illusion von Beherrschung. Mir ist klar geworden, dass diese Erfahrung – die absurde, hinderliche Angst, dass Mensch nicht Mann genug, nicht Femme genug oder queer genug sei –, diese ungewisse Verletzbarkeit etwas ist, was alle Menschen gemeinsam haben. Und die Vorstellung von männlicher Macht wird für alle Männer flüchtig bleiben, egal ob ihnen das Mannsein bei der Geburt zugewiesen wurde oder nicht.
SA: In Seek Bromance verfolgen wir deine Beziehung zu deiner/deinem Filmpartner:in Cade, einer/einem brasilianischen Künstler:in, die/der sich zu Beginn der Dreharbeiten noch als transmaskulin und heute als nonbinär identifiziert – im Englischen wäre das Pronomen they/ them, während du he/him bevorzugst, was auch Cade anfangs tat. Im Deutschen fehlt uns die Sprache, um das angemessen auszudrücken. Du fragst Cade an einer Stelle: »Wie erlebst du Männer?«. Wie würdest du diese Frage beantworten?
SE: Ich bin skeptisch gegenüber der Idee von Charaktertypen. Aber im Mannsein gibt es definitiv einen selbstzerstörerischen Aspekt, eine scheinbar unlösbare Krise der Männlichkeit. Ich habe etwa zehn Jahre meines Lebens damit verbracht, immer wieder Männer zu filmen. Und es gibt einen weichen Ort für sie in meinem Herzen, hoffnungsvoll und amüsiert. Ich habe mich oft als Vertrauensperson von Männern erlebt. Denn wenn eine Frau etwas sehr Persönliches mit dir teilt, weißt du, dass sie es wahrscheinlich auch anderen Freund:innen erzählt hat. Wenn aber ein Mann dir etwas anvertraut, hört er sich oft zum ersten Mal dabei zu, solche Dinge auszusprechen. Das war mir immer sehr wertvoll, diese Zeug:innenschaft für Dinge, die zum ersten Mal ans Licht der Welt kommen. Es hat mich erkennen lassen, dass Männer weder den Raum noch die Sprache für diese Dinge haben.
Als ich das erste Mal mit einer Freundin über meine Transition sprach, sagte sie: »Ist es nicht ein bisschen abgefuckt, jetzt ein Mann werden zu wollen?« – »Ist es nicht revolutionär?«, antwortete ich: »Denn du kannst der Mann werden, von dem du dir wünschst, dass es ihn gäbe.« Darauf sagte sie: »Ja, aber du willst doch dein Leben nicht als ein Beispiel leben. Widme deine Existenz nicht der Rolle als Vorbild.«
Allerdings sehe ich mich mehr als transmaskulines Wesen denn als Mann. Und schon dieser Schritt Richtung Männlichkeit birgt eine Menge Verantwortung. Cis-Männer sind in der Regel keine guten Beispiele für Männlichkeit, sie erscheinen oft etwas hoffnungslos oder lächerlich – und unwillig, sich weiterzuentwickeln. Also spüre ich als transmaskuline Person eine Bürde, es besser zu machen, während ihre Krise noch auf eine Revolution wartet.
Was ist denn im Jahr 2022 bitte eine glaubwürdige Art der Männlichkeit? Ich sehe Männer an einem Scheideweg; es gibt einfach keine guten Vorbilder für Männlichkeit. Dennoch glaube ich fast nichts mehr von dem, was ich mal über Männer dachte. Ich habe tatsächlich angefangen, sie besser zu verstehen, seit ich Testosteron nehme.
Ich habe auch herausgefunden, dass Transmaskulinität nicht gegen toxische Männlichkeit immunisiert. Es ist tatsächlich leicht, wenn nicht gar verführerisch, diese Rolle anzunehmen – es fühlt sich beinahe wie eine Karikatur an, wenn du das tust. Ich sollte klarstellen: Nicht Testosteron lässt dich toxisch werden, sondern der Druck, stereotype Männlichkeit zu performen. Um als Mann »durchzugehen«, ist der direkteste Weg das Performen klischeehafter Bilder oder Tropen, von denen die meisten pathetische, erbärmliche und peinliche Darstellungen falscher Dominanz sind. Im besten Fall kann Transmaskulinität ein Zukunftsentwurf von Männlichkeit sein. Und im schlechtesten ahmt sie deren Scheitern nach, wiederholt schädliche Muster in einem fehlgeleiteten Bedürfnis nach Legitimität.
SA: Etwas, worüber wir noch nicht gesprochen haben und was mich sehr interessiert, ist der Aspekt der Selbsterfindung, der körperlichen Modifikation durch technologische Möglichkeiten: Bioengineering. Cade spricht an einer Stelle von einem Spiel, sein eigener Avatar zu werden. Kannst du mehr dazu sagen?
SE: Ich nähere mich dem Konzept der Selbstgestaltung gern wie dem Schreiben von Drehbüchern. Denn du hast die Kontrolle darüber, wie dein »authentisches« Selbst sein soll. Doch während ich überzeugt bin, dass Biologie kein Schicksal ist, können wir der Tatsache nicht entfliehen, dass wir im Wesentlichen ein chemisches Gebräu sind. Unsere Körper, Gedanken und Persönlichkeiten sind diesem chemischen Verhältnis fast vollständig unterworfen, das wir aber beeinflussen können. Wenn du die Chemie veränderst, veränderst du auch die Person. Die Gesellschaft hat die Vorstellung von einem cleanen, von Substanzen unbeeinflussten Körper geschaffen, doch das ist eine Fiktion – die chemische Mischung ist immer aus dem Gleichgewicht, wir sind nie neutral. Deshalb habe ich nach dem ersten Jahr meine Dosis verringert, um herauszufinden, wie viel von der Veränderung in Geist und Charakter mit der Substanz und wie viel mit meiner Umwelt und meinem neuen Platz darin zusammenhängt. Denn ein großer Teil des Transition-Prozesses ist von sozialer Natur. Wie viel kann sich tatsächlich verändern, wenn du im Lockdown allein in Jogginghosen Hormone nimmst? Andere spiegeln uns – und die Art und Weise, wie andere uns reflektieren, prägt unser Selbstgefühl viel stärker, als sich die meisten Menschen bewusst machen.
Ein Begriff, mit dem ich viel anfangen kann ist »psychologisch androgyn«, der Ausdruck gefällt mir. Er löst das Konzept aus der physischen Welt des »Darstellens« oder des Scheins und überführt ihn in eine Metaebene des »Seins«. Ich glaube, der Begriff entspricht am genauesten meinem Blick auf mich selbst. Oder »maßgeschneiderte Geschlechtsidentität« – das passt besser als Nonbinarität. Die schöpferische Macht liegt hier bei der Person selbst. Anstatt zu sagen: »Das ist eben, was ich bin«, sagst du »Das ist, wer ich sein möchte, wie ich mich gestalte«. Ich frage mich oft, ob der Begriff »nichtbinär« irgendwann veraltet klingen wird. Denn wenn wir einmal anerkannt haben, dass es mehr als nur zwei Geschlechter gibt, bedeutet das, dass nie mand mehr in einer Zweigeschlechterlogik einzuordnen ist, sondern einfach eine der vielen verfügbaren Möglichkeiten wählt. Und es ist absolut angemessen, dir dein eigenes Label zu schaffen. Diese Erfahrungen könnten subjektiver nicht sein.
Repräsentationssysteme in ihrem Zerfall zu beobachten, kann sehr befriedigend sein, denn es handelt sich in einem größeren Sinne um Wachstumsschmerzen gesellschaftlicher Dissonanzen. Viele Individuen werden sich gerade der Tatsache bewusst, dass sie mehr sein können, als das System erlaubt; dass unser Bewusstsein uns Entwicklungen ermöglicht, die weit über das hinausgehen, in welche Rolle wir hineingeboren wurden. Der Akt der Selbstzerstörung ist unerbittlich verknüpft mit der Vorstellung, etwas Neues zu werden. Es handelt sich um eine sehr universelle Metapher, die Idee, dass Menschen in einem kontinuierlichen Prozess aktiv daran wirken, ihr altes Selbst zu zerstören, um neue Verknüpfungen und Möglichkeiten zu schaffen.