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© Christoph Sebastian
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Frau Maier-Staufen, wie werden wir die vier Solistinnen in Ich geh unter lauter Schatten auf der Bühne erleben? Was können Sie über die Kostüme verraten?

Der Liederzyklus Quatre chants pour franchir le seuil von Gérard Grisey wird in unserer Musiktheater Adaption von vier Frauen, anstatt von nur einer Sängerin verkörpert. Durch diese vier verschiedenen Sopranpersönlichkeiten haben wir vier verschiedene Temperamente als Ausgangspunkt. Die Kostüme spiegeln die jeweilige Biografie dieser exemplarischen Persönlichkeiten wider und beschreiben auf sehr unterschiedliche Weise den Grund, aus dem diese die Schwelle zwischen Leben und Tod überschreiten. Durch die Größe der Jahrhunderthalle Bochum arbeite ich bei den Kostümen der vier Frauen sehr skulptural, klar in Farbe und Form um möglichst große, fast archaische Wirkkraft und zugleich erkennbare archetypische heutige Menschen zu zeigen.

Sie sprechen den Ort bereits an: welche Rolle spielt die Jahrhunderthalle Bochum bei der Ideenentwicklung für die Kostüme der Musiker:innen?

Hermann Feuchter, der Bühnenbilder der Produktion, hat immer wieder »das Sterben einer großen Industriekultur« formuliert, das permanente Ankämpfen gegen den Untergang dieser großen Halle. Die Vergänglichkeit, die in dieser unglaublichen Größe und vergangenen Produktionskraft steckt, berührt einen sofort. Vier große wie heruntergebrochen wirkende Stege führen unsere Protagonistinnen hinunter ins Schattenreich, auf die weitläufigen glatte graue Bodenfläche der Halle. Dort werden sie vom Klang, der durch die Musiker:innen des Klangforum Wien und des Chorwerk Ruhr entsteht, empfangen. Und eben diese »Musikarbeiter:innen«, die den Klangbogen des Abends erzeugen, gaben uns den Impuls sie als Geister der ehemaligen Arbeiter, die früher die Halle belebt und bewandert haben, zu verstehen. Immer wieder finden sich in den verschiedenen musikalischen Teilen des Abends Klänge die tatsächlich an Stahlarbeiten erinnern. Aus all diesen Gedanken und Impulsen entstand in unseren Gesprächen fast zwingend die Idee eines Arbeitsoveralls.

© Christoph Sebastian

Was hat Sie bei den Entwürfen dieser Kostüme inspiriert?

Inspiriert haben uns vor allem Fotografien von Sebastião Salgado, einem großartigen Fotografen, der unter anderem Goldarbeiter in den Minen in Südamerika fotografiert hat. Auf den Fotografien wirkt es, als verschmelzen die Menschen mit ihrer Umgebung. Andere Arbeiten Salgados zeigen brennende Ölfelder in Kuweit, auf denen die Anzüge der Arbeitenden die Farbe des Öls annehmen und auch hier der Eindruck des Verschwimmens dieser Elemente entsteht. Genau solch eine Wirkung des Verschmelzens mit dem Untergrund versprechen wir uns für die Arbeitsoveralls, für die wir Farbe und Musterung des Hallenbodens auf die Stoffe übertragen haben, aus denen sie gefertigt werden. Die Musiker:innen und Chorist:innen sind sozusagen verwachsen mit dem Boden, mit dem Ort, dem Schattenreich. Ich geh unter lauter Schatten kann man so fast wörtlich nehmen; sie sind die Schatten, unter denen sich die vier Frauen bewegen, und in die sie eingemeindet, aufgenommen werden; von denen sie umarmt werden.

Ich geh unter lauter Schatten, ab 11. August 2022, Jahrhunderthalle Bochum