Wir wissen auch, dass diese Aufgabe die nächsten Generationen beschäftigten wird, und wir wissen auch, dass diese Aufgabe nur global gelöst werden kann. Aber wie soll das geschehen, in einer Welt, die in strategische Hemisphären zerfällt? In einer Welt, die den Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen nicht überwunden hat? Denken wir an eine CO2-neutrale Aufrüstung? An Panzer aus erneuerbaren Energien? Waffen werden moderner, der Krieg bleibt, was er war: blutig, hoffnungslos, am teuersten bezahlt von den Ärmsten, von jenen, die nicht fliehen können, nicht vor der Einberufung und nicht vor den Bomben.
Brauchen wir neue Glaubenssätze, brauchen wir einen neuen Irrtum? Die Illusionen, die Erzählungen bestimmen die Geschichte. Die Projektionen, die Ängste und die Sehnsüchte der Menschen leiten ihr Tun. Wir glauben, was uns dienlich ist, was unsere Vorstellung nicht ins Wanken bringt, die Vorstellung, wie die Welt zu sein hat. In den letzten vier, fünf Generationen sollte die Welt vor allem wirtschaftlich und berechenbar sein. Wir haben Informationen gesammelt, wir haben das menschliche Leben zu einem Datensatz gemacht, wir vergleichen diese Daten und erstellen Rankings und Ratings, die wir global anwenden. Wir vermessen, wir fügen die Zahl in eine Tabelle, sie erscheint in einer Spalte und in einer Zeile, und beides bedarf der Erfindung einer Kategorie. Ohne Kategorien keine Preise, keine Werte, keine Währung, kein Vermögen und kein Status. Aber die Kategorien wie die Warte, die Spalten wie die Zeilen, die X- und die Y-Achse: Alles Modelle, nichts davon ist die Welt.
Die Welt ist reich, und sie ist weder friedlich noch sicher. Frieden und Sicherheit sind betriebsökonomisch ein Mangel: Die Angestellten gewöhnen sich an Abläufe, während das Unternehmen, will es am Markt bestehen, sich beständig transformieren muss.
Unsere Gesellschaft, die westliche, liberale Demokratie, ist verletzlich, weil sie einen inneren Widerspruch nicht gelöst hat. Sie ist abhängig von Tyrannen, von Autokraten und Diktatoren. Unsere demokratische Gesellschaft ist erpressbar durch ihren Energiehunger, durch diese unstillbare Gier nach Öl, nach Gas, nach Kohle.
Die westlichen Demokratien sind süchtige Gesellschaften. Auf gewisse Betriebsstoffe können sie nicht verzichten, sie kann sie höchstens ersetzen, substituieren, und dies nur mit Geduld und unter Qualen.
Die Betriebsmittel unserer westlichen Demokratien werden nach Rezepten eingesetzt, nach Regeln, die heute esoterisch erscheinen. Die makroökonomischen Heilsworte lauten Wettbewerb, Wachstum, Marktdynamik. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Krieg und Wirtschaft. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Öl, das unsere Stuben heizt, und dem Öl, das die Waffensysteme herstellt und antreibt.
Vorstellungen, wie wir aus dieser tödlichen Falle entrinnen können, in die uns die moderne Gesellschaft geführt hat, gibt es zwar, aber auch das Okapi und den Schneckenkönig gibt es, einfach sehr selten. Selbst der Gedanke, jemand könnte eine Utopie haben, wirkt utopisch. Entwürfe sind nutzlos. Die Welt ist schließlich gebaut, wir können sie im besten Fall entwickeln. Dazu brauchen wir den technologischen Fortschritt. Er ist das Äußerste an visionärer Kraft. Die Lösung muss und wird instrumentell sein, höhere Effizienz, geringere Kosten, verbesserte Produktivität. Für den Rest, für die Kolbenklemmer, für die porösen Stellen des Systems bedienten wir uns einer alten Methode, der Flickschusterei.
Wie wichtig nahmen wir den Nutzen, wie nebensächlich war uns die Freude! Wer traute sich, auf ihr zu bestehen? Wer wagt es jetzt noch, aus der Fülle seiner Lebenswelt, außer der Knappheit seiner Lebenszeit zu argumentieren? Wer versucht eine Politik, die auf die guten Momente im menschlichen Leben setzt? Wer begreift die Freude als soziale Größe? Wer begreift, wie kostbar sie ist, wie selten, wie knapp? Wer darauf besteht, muss mit Kürzungen rechnen und mit dem Hohn und Spott der Macht. Die Macht verlangt Kennzahlen, und in eine solche passt die Freude nicht, der Hass nicht, die Träume nicht, nicht die süßen, nicht die Albmahre.
Was berechenbar war, hielt man für realistisch, hielt man für die Wirklichkeit, aber Gleichungen sind Traumgebilde, bestenfalls Symbole, und sie neigen dazu, Fetische zu werden. Sie bilden ab, was sie fassen können, und sie schließen damit das meiste, das Wesentliche aus. Gleichungen schaffen Abwesenheiten, in das Fassbare kehren sie zurück als Gespenster.
Das Bewusstsein des Menschen, wozu er fähig ist, im Guten wie im schlechten, nichts passt in eine Formel, in keine Evaluation, in keine Zahl. Das menschliche Wesen ist weder mit Buchhaltung noch mit Rechnungsführung zu fassen, nicht mit ihren Instrumenten, nicht in den Prozessen, und alle, die glauben, das Controlling würde den Betrieb durch Kontrolle sicherer machen, sind gefährliche Phantasten.