Eine Frau, die Messiaen in seinem Schmerz und seiner Verzweiflung verstanden hätte, ist Galina Ustwolskaja, die vielleicht kompromissloseste Komponistin des 20. Jahrhunderts. So kompromisslos, dass sich ihre Musik in der Welt, in der sie lebte, gänzlich verbat. Und sie sie trotzdem schrieb. Und sei es für die Schublade. Fremd und ungestüm schlug ihre Klangsprache, die keiner Schule und keiner Strömung folgte, in die zeitgenössische Musiklandschaft im Russland der Nachkriegszeit ein. Das Handwerk hatte sie von Dmitri Schostakowitsch erlernt, dessen Schüler:innen für ihre Schostakowitsch-Mimesis bekannt waren. Nicht so Galina Ustwolskaja. Ihr Lehrer bewunderte ihre Eigenständigkeit, hielt sogar um ihre Hand an, ohne Erfolg.
Mit ihrem unbestechlichen Charakter war Galina Ustwolskaja 1919, zwei Jahre nach der Oktoberrevolution, in eine denkbar ungünstige Zeit hineingeboren. Die Familie lebte in materieller Not, ihre Kindheit und Jugend waren von profundem Einsamkeitsgefühl überschattet. Einzelgängertum pflasterte ihren Lebensweg, auch wenn dies der normierenden Staatsdoktrin des Sozialistischen Realismus, der seit Anfang der 30er Jahre den Kulturbetrieb bestimmte, quer entgegenstand. Religiöse, spirituelle Inhalte in Musik zu verarbeiten, wofür Ustwolskaja bekannt wurde, war selbst nach Stalins Tod 1953 jahrelang tabu. Die meisten ihrer Werke der 40er und 50er Jahre, die der Staatsdoktrin zumindest äußerlich Rechnung tragen (darunter ihre 1. Sinfonie von 1955), wollte die Komponistin später aus ihrem Werkkatalog, der nur 25 gültige Stücke zählt, verbannt wissen.
Zwischen 1960 und 1970 ergriff Ustwolskaja die konsequent drastische Maßnahme, praktisch gar keine neuen Kompositionen mehr an die Öffentlichkeit zu bringen. Nach ihrem Wiederauftauchen im sowjetischen Musikleben weisen ihre Werke fast ausnahmslos religiöse, liturgische Titel und Texte auf. Im Unterschied zu Messiaen ist Ustwolskajas Religiosität aber an eine abstrakte göttliche Macht gerichtet, stellt sich nicht in den Dienst einer Glaubensinstitution. Auch ästhetisch dominiert bei ihr eine ganz andere Sprache: Anstelle von Entwicklung, Fluss und Farbenrausch stehen hier Klarheit, Bruch und Kollision. Harmonik kennt ihre vollkommen horizontal konzipierte Musik höchstens in Form von Clustern (dichten Tonballungen), wie sie etwa die 3. Sinfonie in eindringlicher Wiederholung eröffnen.